Diabetes-Kids Elternblog:Geborgenheit
Wachsam beobachten Papa und Mama den Blutzuckerwert auf der elektronischen Anzeige des Tablets. Seit etwa einer Stunde steigt der BZ- Wert stetig an und wird, wenn er weiter so ansteigt, in weniger als 15min den 200er Grenzwert geknackt haben. Was mag diesen neuerlichen Anstieg wieder mal ausgelöst haben? Doch etwas in der Zusammensetzung des Abendessen von vor ein paar Stunden, den wir nicht bedacht haben? Hat er vielleicht heimlich noch irgendwo ein altes Gummibärchen gefunden? Oder ist es die Basalrate? Die Anstiege passieren allerdings nicht jeden Abend, welches eine Basalratenkorrektur begründen würde!
Nun, das Philosophieren hilft alles nichts. Es wird Zeit für eine Korrektur.
Leise schleichen wir ins Schlafzimmer. Der CD Spieler leuchtet stumm in schalem LED blau. Die CD mit dem Märchen ist schon vor etwa einer Stunde ausgegangen, wieder einmal hat „der kleine Prinz“ den Einschlafdienst für unseren Bub übernommen. Ein Glück kennt unser Kleiner noch nicht die Funktion „Repeat all“ am Gerät, sonst würde der Prinz wahrscheinlich selbst jetzt noch seine Rose beschützen.
Leise atmet unser Bub, ganz friedlich liegt er da. In seinem Alter noch völlig unfähig auf seinen BZ zu reagieren und hierfür ein Empfinden zu entwickeln. Er schläft einfach weiter, selbst wenn die Pumpe Alarm schlägt und auf dem Display bereits „Medizinisches Gerät, rufen Sie einen Rettungsdienst!“ angezeigt wird und wieder einmal daran erinnert, dass Mama oder Papa den Alarm mitten in der Nacht zu spät gehört haben.
Nun, die Korrektur steht an! Die Pumpe trägt unser Sohn auch nachts am Bauch, entsprechend hebe ich die warme kuschelige Daunendecke hoch. Sofort kommt mir ein kleiner Schwall angesammelter Körperwärme entgegen. Unser Sohn hingegen fröstelt sofort!
Er zuckt zusammen, rollt sich ein. Genau das, was wir jetzt gar nicht gebrauchen können. Wir müssen doch an die Pumpe!
Vorsichtig erreichen wir die Pumpe, können die Korrektur abgeben und decken unseren Sohn gleich wieder mit der kuschligen Decke zu, der sich dankbar über die zurückgewonnene Geborgenheit in seiner Decke zur Seite dreht und wieder einschläft.
Und da ist er wieder, dieser Hass. Diese ohnmächtige Wut! Es mag „nur“ ein kurzer Moment des Fröstelns und des Wärmeverlustes aus einer kuscheligen, warmen Decke gewesen sein. Aber in diesem Moment ist der ganze Mist wieder einmal allgegenwärtig! Die ganzen Entbehrungen, die Einschränkungen, das ganze Leid und der Schmerz.
Jetzt in diesem Augenblick war es ein kleiner, noch nicht einmal vom Bewusstsein unseres Sohnes aktiv wahrgenommener Moment des Verlusts von Geborgenheit, die eine warme Decke in einer kalten, usseligen Herbstnacht bietet. Und schuld ist eine Krankheit, der wir jeden Tag mit geschlossenem Visier begegnen. Wo selbst der beste Kampf nur bedeuten kann, dass man mal vergleichsweise einen guten Tag mit „normalen Werten“ hatte, den andere, gesunde Kinder, praktisch jeden Tag haben und es noch nicht einmal bemerken!? Die einfach eine schöne, ruhige und ungestörte Nacht in einer kuscheligen Decke verbringen dürfen, ohne dass Mama und Papa gezwungen sind, die Decke wegzunehmen, nur um an die Pumpe heran zu kommen!
Ich werde innerlich warm, möchte wieder einmal einen Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen! Jemanden verklagen oder einfach nur in die Fresse hauen für das, was hier tagtäglich passiert!
Ich will gerade…
„Das nächste Mal nimmst du aber wieder die Fernbedienung“ raunt mir meine Frau zu, als wir das Kinderzimmer verlassen.
;-)
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