Diabetes-Kids Elternblog: Familienkreuzfahrt mit dem Zuckerdrachen
Unsere 7. Reise mit Aida, aber die 1. zu „fünft“ – Papa, Mama, zwei Kids und Willi der Zuckerdrache
Hätte mir vor fast einem Jahr jemand gesagt, dass wir im Dezember erst ein Flugzeug und dann ein Schiff besteigen werden und dort einen tollen und vor allem unbeschwerten Urlaub verbringen werden, den hätte ich ausgelacht! Oder ich wär panisch davon gerannt! Vermutlich sogar beides gleichzeitig…
Im März hat unsere Tochter die Diagnose Diabetes Typ 1 erhalten. In diesem Moment ist für uns eine Welt zusammen gebrochen. Ich will an dieser Stelle gar nicht im Detail darauf eingehen, was wir in den ersten Stunden/Tagen/Wochen/Monaten durchgemacht haben. Der Einzug des kleinen Zuckerdrachens Willibald von Langerhans (kurz Willi genannt), der jetzt der ständige Begleiter unserer Tochter ist, hat unser Familienleben auf jeden Fall ordentlich durcheinander gewirbelt! Wir sind an unsere Belastungsgrenze gegangen und teilweise auch darüber hinaus – aber trotzdem lag nichts ferner als der Gedanke an Urlaub. Denn das Diabetesmanagement ist im Alltag schon schwierig genug. Alles was Urlaub so ausmacht: ein anderer Tagesablauf, viel Bewegung, Schwimmen, Aufregung, Sonne, Wärme, Freude, Ausruhen und so viel Essen… alles Einflussfaktoren auf den Diabetes. Und wie Willi auf diese Faktoren reagiert ist oft unberechenbar.
Ich weiß gar nicht genau wann, aber irgendwann ganz still und heimlich haben wir uns irgendwie eingegrooved. Willi gehört irgendwie schon ganz selbstverständlich zur Familie. Als sich das Jahr dann so langsam dem Ende näherte, resümierten wir abends auf dem Sofa und stellten fest, dass wir sehr stolz auf unsere Tochter sind! Und irgendwie auch auf uns. Wir machen das im Großen und Ganzen echt gut und mit dem langsamen Weichen der Anspannung merkten wir wie sehr uns die letzten Monate geschlaucht hatten. Wir waren so was von urlaubsreif!
Wir wollten uns belohnen. Die Kinder, uns als Familie und auch uns als Paar. Einfach relaxen. Zeit miteinander verbringen, ohne Termine. Einfach so. Klar kann man das auch zuhause machen. Aber wenn wir ehrlich sind, dann fällt einem zuhause immer was ein, was liegen geblieben ist und dringend noch gemacht werden muss (Bügelwäsche, Fenster putzen, Freunde besuchen, endlich mal die Bilder aufhängen…). Deshalb wollten wir weg. Aber zu unserer Familie gehört ja jetzt auch Willi. Kann man mit einem Zuckerdrachen überall Urlaub machen? Geht das? JEIN.
Wenn man will und vielleicht auch etwas mutig ist, dann kann man mit so einem Zuckerdrachen auch an die abgelegensten Orte fahren. Aber wir sind da eher (noch) nicht so mutig. Also sollte es ein Reiseziel mit einer (sehr) guten medizinischen Versorgung sein. Das schränkt die Auswahl schon mal ein. Und da schießt mir schon eine entscheidende Frage in den Kopf: Was sagt denn unsere Auslandskrankenversicherung eigentlich zum Thema Diabetes? Wir nagen zwar nicht am Hungertuch, aber die Kosten für einen evtl. anfallenden Krankenhausbesuch dürften unser Budget doch ziemlich schnell übersteigen.
Ein kurzer Anruf bei unserem Versicherer konnte mich aber schnell beruhigen. Die Kosten für Insulin, Teststreifen etc. werden natürlich nicht übernommen. Da muss man sich im Vorfeld zuhause mit eindecken – logisch. Wenn uns der Diabetologe vor Reiseantritt bescheinigt, dass aus medizinischer Sicht nichts gegen die Reise spricht, dann würde die Auslands-KV im Ernstfall auch die Behandlungskosten im Zusammenhang mit dem Diabetes übernehmen. Puh! Da ist mir ein großer Stein vom Herzen gefallen. Jetzt mussten wir nur noch ein schönes Urlaubsziel finden…
Da wir vor der Diagnose schon mehrmals unseren Urlaub auf Aida Schiffen verbracht haben, kam eigentlich unmittelbar der Vorschlag wieder eine Kreuzfahrt zu machen. Zusätzlich zu den ganzen Annehmlichkeiten, die wir an einer Kreuzfahrt so schätzen kam nun noch ein ganz entscheidender Punkt: es ist immer ein Arzt bzw. ein kleines Krankenhaus an Bord! Perfekt!
Da wir uns mit diesem Urlaub ja belohnen wollten, haben wir uns für eine ganz besondere Reise entschieden: eine Silvesterreise mit der AidaPerla im westlichen Mittelmeer. Wir kannten die baugleiche Prima schon von einer vorherigen Reise und vor allem die Kinder konnten es vor Vorfreude kaum abwarten, zumal unsere Kleine auf dem Schiff ihren 4. Geburtstag feiern wollte, was für zusätzliche Aufregung sorgte.
Je näher der Reisetermin und damit auch das Jahresende rückte, desto mehr Gedanken machte ich mir bezüglich unseres Zuckerdrachens. Was brauchen wir alles, damit es Willi während der An-/Abreise mit dem Flugzeug und auf der eigentlichen Schiffsreise gut geht? Was müssen wir alles einpacken? Wie halten wir das Insulin kühl? Wie kriegen wir das ganze Equipment durch die Sicherheitskontrolle am Flughafen? Werden wir die Mahlzeiten abwiegen, oder schätzen? Wie geht der heißgeliebte Kinderclub mit Willi um? Oder darf ein Kind mit Diabetes evtl. gar nicht in den Kinderclub? Werden wir die erhoffte Erholung finden, oder wären wir doch lieber zuhause geblieben?
Fragen über Fragen…
Es gibt im Netz diverse Blogger mit Diabetes Typ 1, die gute Tipps zum Thema Reisen und Reisevorbereitung haben (einfach mal Google fragen). Das meiste hatten wir aber auch in der Diabetesschulung zum Thema Reisen schon gehört. Was mich zusätzlich beruhigte…also scheint das, was die Diabetesberaterin einem erzählt hat in der Realität zu funktionieren. Schon mal gut.
Ich bin ein großer Freund von Listen… Packlisten, To-Do-Listen… Also habe ich eine extra Willi-Liste gemacht. Eigentlich hauptsächlich um mich zu beruhigen. Was auch gut geklappt hat. Hier eine kleine Zusammenfassung:
Was mitnehmen?
Wir haben ausgerechnet, wie viel wir von was benötigen (Insulin, Pen-Nadeln, Teststreifen etc.) und haben das Doppelte eingepackt. Für den Müll (insbesondere die benutzten Pennadeln) bekommt man einen kleinen Mülleimer auf die Kabine (beim Ausfüllen des Schiffmanifests angeben, dass man Diabetes hat). Sehr praktisch.
Wie transportieren?
Alles im Handgepäck, denn Koffer können auch mal verloren gehen. Unsere Kinder haben jeweils einen kleinen Trunky-Koffer. In den einen durften sie wie gewohnt Spielsachen packen und der andere war der „Diabetes-Koffer“. Es hat alles gerade so reingepasst… Das Insulin und das GlucaGenHypokit haben wir in unserer großen Friotasche transportiert. Die in Gebrauch befindlichen Pens in der kleinen Friotasche. Bei Aida gibt es in den Kabinen leider keinen Kühlschrank/Minibar. Bei meinen Recherchen im Netzt habe ich herausgefunden, dass man Medikamente, die gekühlt werden müssen beim Bordhospital abgeben kann. Auch ok. Auf dem Schiff wurde uns dann aber ganz stolz eine Medikamenten-Kühltasche überreicht, bei der wir dann nur die Kühlakkus im Hospital tauschen sollten. Im ersten Moment fand ich diese Lösung richtig gut. So mussten wir das Insulin nicht aus der Hand geben… aber beim Durchlesen der Gebrauchsanweisung mussten wir feststellen, dass die Akkus eine recht kurze Lebensdauer haben und wir diese morgens und abends hätten wechseln müssen. Nein Danke. Also haben wir einfach weiterhin die Friotaschen genutzt und diese dann nur alle paar Tage reaktiviert. Hat super geklappt.
Wie durch den Sicherheitscheck?
Wir haben von unserem Arzt ein Dokument bekommen, auf dem bestätigt wird, was wir alles aus medizinischen Gründen mit uns führen müssen (ganz simpel zum Ankreuzen und in mehreren Sprachen). Beim Flughafen habe ich die nette Dame vom Sicherheitsdienst darauf hingewiesen, dass unsere Tochter Diabetes hat und wir Insulin, Spritzen und Co. in dem einen Koffer mit uns führen und das war es auch schon. Koffer ganz normal aufs Band und gut. Problemlos, sowohl beim Hin- als auch beim Rückflug.
Mahlzeiten abwiegen oder schätzen?
Praktischerweise gab es bei einer großen Kaffeerösterei eine klappbare Küchenwaage im Angebot. Die haben wir mitgenommen und am ersten Morgen die Brötchen abgewogen. Die anderen Mahlzeiten haben wir geschätzt. Und das hat tatsächlich (meistens) richtig gut geklappt. Macht einen schon ein bisschen stolz.
Kann sie in den Kidsclub gehen?
Ich bin am ersten Tag gleich in den Kidsclub gegangen. Dort habe ich gefragt, ob unsere Tochter auch mit Diabetes in die Betreuung gehen darf. Ob und unter welchen Voraussetzungen ein chronisch krankes Kind betreut werden kann und darf, entscheidet die Clubchefin im Einzelfall. Das kurze Gespräch mit der Clubchefin habe ich als sehr angenehm und auch beruhigend empfunden, denn sie hat Fragen gestellt, die auf Erfahrung mit Diabeteskids schließen lassen (z.B. ob sie einen Sensor trägt, ob sie Unterzuckerungen merkt …). Wir haben uns dann so verständigt, dass sie in den Club gehen kann, wir aber das Schiff dann in der Zeit nicht verlassen – hätte ich eh nicht gemacht. Und wir haben ein Bordhandy bekommen, über das wir im Notfall immer erreichbar sind. Das fand ich richtig gut!
Ich muss sagen, dass mich der Umgang im Kidsclub mit dem Thema positiv überrascht hat. Eigentlich hatte ich damit gerechnet, dass ich viel mehr erklären und auch überzeugen müsste, damit sie unsere Tochter inkl. Willi aufnehmen.
Die meisten Fragezeichen haben sich also ziemlich schnell aufgelöst. Und so konnten wir entspannt in den Urlaub starten. Die Kinder haben stundenlang gebadet, die Wasserrutschen ausgetestet, zwischendurch Pizza und Softeis gegessen, Freunde gefunden, rumgetobt, Spaß gehabt…alles was sie sonst im Urlaub auch gemacht hätten. Und genau das war mir wichtig. Auch wenn ich immer 24/7 an den Diabetes denke und ein „P“ in den Augen habe, wenn die Große auf die Pizza zusteuerte oder schon eine halbe Stunde mit der neuen Freundin die Wasserrutsche testet, ohne dass ich sie gesehen habe… Aber mit jeder Situation sind wir irgendwie sicherer und auch entspannter geworden. So dass Willi zwar immer dabei, aber in den seltensten Fällen für unsere Tochter sichtbar war.
Das Diabetesmanagement ist uns bereits so in Fleisch und Blut übergegangen, dass es einfach dazu gehört. Und dazu gehört auch, dass man sich vielleicht mal verschätzt… ich sehe noch genau vor meinem inneren Auge, wie wir ratlos auf den Kindercocktail vor uns starren… Frage 1) Wie viel KE mag denn so ein Sammelsurium an Säften und Sirup wohl haben? Frage 2) Mag sie den überhaupt? Wir haben sie dann einen Minischluck nehmen lassen – schmeckt! Einfach wie Orangensaft gerechnet und einen Tick aufgerundet. Das hat gut geklappt…aber am nächsten Abend passte es dann mit dem gleichen Cocktail plötzlich nicht mehr und Willi’s Blutzucker schwang sich zur Bettgehzeit in schwindelerregende Höhen – schon komisch dieser Zuckerdrache…macht halt manchmal nicht das was er soll. Insgesamt hat sich Willi aber sehr gut benommen. Er scheint nur für einen Drachen ziemliche Höhenangst zu haben… zumindest konnte man auf dem Lesegerät des FreeStyle Libre genau sehen, wie aufgeregt er bei unserem Abenteuer im schiffseigenen Hochseilgarten war.
Unser Fazit: Es gibt keinen Urlaub vom Diabetes, aber es gibt einen Urlaub MIT Diabetes. Und der ist genauso schön, erholsam und manchmal auch stressig wie ein „normaler“ Urlaub.
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