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Artikel über Medikamente

Offener Brief an Bundesgesundheitsminister Dr. Rösler

Der folgenden offene Brief zum Thema "Insulinanaloga bei Diabetes mellitus Typ 1" wurde von den Organisatoren von "Insulinclub.de" und der Diabetes-Zentrale e.V. verfasst:

Diese Brief wird zusammen mit einer Online Unterschriftensammling an unseren Gesungheitsminister Dr. Rösler geschickt.
Unter http://brief.diabetes-zentrale.de/ könnt ihr mitmachen.

Sehr geehrter Herr Bundesgesundheitsminister Dr. Rösler,

mit Bestürzung haben wir abermals den Abschlussbericht des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) mit der Kennziffer A08-01 zur Kenntnis genommen.

Am 21. Februar 2008 hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) nach einem, vom G-BA beauftragten Gutachten des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) beschlossen, dass kurzwirksame Insulinanaloga nicht mehr verordnungsfähig sein sollen. Dem widersprachen zahlreiche Betroffene und Betroffenenvertretungen, u.a. in Form einer Online Petition beim Deutschen Bundestag, die die Unterstützung von 4.755 Mitzeichnern fand. Ihre Vorgängerin, Frau Bundesgesundheitsministerin Schmidt, hat seinerzeit diesem Beschluss des G-BA widersprochen, so dass es zu keiner Änderung der Richtlinie kam.

Am 17. Juli 2008 hat der G-BA erneut das IQWiG beauftragt, ein Gutachten über den Nutzen von Insulinanaloga insbesondere bei Kindern und Jugendlichen (Kennziffer A08-01) vorzulegen. Der Abschlussbericht ist am 16. November 2009 erschienen und ist mit dem vorherigen Bericht nahezu identisch.

Im Folgenden möchten wir Ihnen darlegen, warum das Gutachten des IQWiG nicht stimmig ist und warum wir auf genau dieses Insulin angewiesen sind. Wir gehen davon aus, dass wir im Namen vieler tausend Diabetiker handeln, um dies zu unterstützen haben wir eine Unterschriftenaktion im Internet gestartet. Bürger, die diesen Brief unterstützen hatten die Möglichkeit den Brief im Internet mitzuzeichnen. Eine Auflistung der Unterstützer liegt diesem Schreiben bei.
Wir schließen uns ebenso der Petition von Herrn Michael Bertsch an, der eben diese Problematik im Besonderen bei Kindern und Jugendlichen beschrieben hat und verstehen uns als Ergänzung für den Bereich der über 18 jährigen Diabetiker die mit Insulinanaloga behandelt werden, da wir keinen Unterschied in der Indikation der Behandlung sehen.

Das formelle Zustandekommen des Berichts nötigt bereits zum Aufhorchen. Unseren Recherchen zufolge, wurden von 1293 verfügbaren Studien zum Thema Insulinanaloga lediglich neun für die Entscheidung berücksichtigt. Aus der Begründung war zu entnehmen, dass die restlichen Studien für die Begutachtung nicht geeignet waren; dies bestreiten wir entschieden. Außerdem vergab der Leiter des IQWiG, Herr Prof. Dr. Sawicki, Aufträge zur Erstellung eigener Studien an das Institut für evidenzbasierte Medizin (DIeM). An diesem Unternehmen war Herr Prof. Dr. Sawicki selber beteiligt, zum Zeitpunkt der Auftragsvergabe, hatte er sich wohl bereits mit seinem Investment zurück gezogen, jedoch blieb seine Ehefrau weiterhin Gesellschafterin dieses Unternehmens. Pikanterweise ist seine Ehefrau nicht nur Gesellschafterin, sondern übt mit einer Beteiligung von 40 v.H. eine beherrschende Stellung im Unternehmen aus. Eine öffentliche Ausschreibung dieses Auftrages - wie es nach europäischem Vergaberecht zwingend erforderlich gewesen wäre - fand wohl nicht statt.

Entgegen dem Gutachten des IQWiG hat das Insulinanalogon aber auch einen Mehrwert. Zunächst möchten wir auf die Unterschiede der in Rede stehenden Insuline hinweisen. Vor Einführung von Insulinanaloga wurde im Regelfall ein herkömmliches Humaninsulin verwendet; dieses zeichnet sich durch eine hohe Identität zum menschlichen Insulin aus, hat allerdings eine lange Wirkdauer. Dies ist in einem gesunden menschlichen Körper kein Problem, da die insulinproduzierenden ß-Zellen das Insulin direkt über die Bauchspeicheldrüse in die Blutbahn einspeisen. Insulin wird bei einem an Diabetes mellitus erkrankten Menschen allerdings nicht intravenös injiziert, sondern subkutan. Durch seine spezielle Struktur kann das Insulin nur erheblich verzögert dem Stoffwechsel zu Verfügung stehen. Die Wirkung endet im Regelfall nach sechs bis acht Stunden. Bei einem Insulinanalogon, wurde eben diese Struktur verändert, somit kann es schon nach 10 bis 20 Minuten in den Stoffwechselprozess eingreifen und die Wirkung endet bereits nach zwei bis drei Stunden.

Sehr belastend und einschränkend ist der sogenannte Spritz-Ess-Abstand. Diabetiker müssen, bei einer Therapie mit Humaninsulin, nach geltender Fachmeinung, einen Spritz-Ess-Abstand von 30 bis 60 Minuten einhalten. Dies ist im Alltag nur sehr schwer durchführbar. Mittagspausen sind in der Regel lediglich eine halbe bis volle Stunde lang, wenn man Essen erwirbt und danach 30 bis 60 Minuten wartet, ist die Mittagspause zu Ende, bevor man anfangen konnte zu essen. Ein Student bräuchte dann nicht mehr zur anschließenden Veranstaltung zu gehen. Aber auch in der Freizeit ist dies überaus einschränkend: Will man mit Freunden, Bekannten, oder auch Geschäftspartnern essen gehen, muss das Essen erst serviert werden, damit die Mengen entsprechend abgeschätzt werden können; erst dann kann das nötige Insulin darauf abgestimmt und injiziert werden. Bei Humaninsulin muss nun aber ein Spritz-Ess-Abstand von 30 bis 60 Minuten eingehalten werden, bis dahin haben a) alle anderen bereits zu Ende gegessen und ist b) das Essen bereits kalt.
Durch einen nicht eingehaltenen Spritz-Ess-Abstand kann es jedoch zu schweren Hyperglykämien kommen, die, wenn sie ständig auftreten, im Laufe der Jahre zu schweren Folgeschäden führen können, wie Erblindung, Amputationen, Organversagen etc. Spontaneität gehört zum Leben dazu, allerdings ist ein Leben mit Spontaneität für Diabetiker ohne Insulinanaloga kaum möglich wenn nicht sogar unmöglich.
Bitte stellen Sie sich auch Eltern von kleinen Kindern vor. Der Appetit kleiner Kinder ist so gut wie nicht einschätzbar, was bedeutet, dass nicht klar ist, wie viele zu berechnende Kohlenhydrate letztendlich von ihnen zu sich genommen werden. Da aber das darauf abzustimmende Insulin vor dem Essen injiziert werden muss, müsste nun die entsprechenden Kohlenhydrate aufgenommen werden, da es sonst zu schweren Hypoglykämien kommen kann.

Weitere Probleme sind, dass die lange, eben beschriebene, Wirkdauer von Humaninsulinen gefährliche Nebeneffekte im Alltagsleben mit sich bringen. Wenn innerhalb der Wirkzeit (wie beschrieben sechs bis acht Stunden) erneut Insulin injiziert wird, besteht die Gefahr, dass sich beide Insulingaben - bildlich gesprochen - auftürmen. Dies kann passieren wenn man nach einer Mahlzeit, zum Beispiel die Lust verspürt spontan ein Eis zu essen oder an einem Brunch teilnimmt. Hierdurch kann es vermehrt zu Unterzuckerungen kommen, bei schweren Hypoglykämien, ist dann häufigdie Fremdhilfe in Form eines Notarztes erforderlich; zusätzlich kann es durch die Unterversorgung des Gehirns zu Schädigungen kommen, ebenso bei weiteren Körperteilen von schweren Krampfanfälle einmal ganz abgesehen. Die erhöhte Anzahl von schweren hypoglykämischen Zuständen bei der Gabe von Humaninsulinen führt zu erheblichen Kosten, die auf das Gesundheitswesen zurückfallen. Als Leiter des zuständigen Ministeriums sind Ihnen sicherlich die Kosten von Notfallbehandlungen (Einsatz von Rettungswagen, Notarzt, stationäre Behandlung) geläufig.

Durch die langsame, träge Wirkung des Humaninsulins werden Folgeschäden begünstigt. Bei einer Stoffwechselentgleisung, die auch bei einer sehr guten und engagierten Therapie vorkommt, dauert es bei Verwendung eines Humaninsulins entsprechend lange bis der Blutzuckerwert wieder auf ein normales Niveau gesenkt werden kann. Viele Diabetiker verwenden eine Insulinpumpe, ein Gerät, dass selbstständig in einem Intervall Insulin substituiert. Mit einer Insulinpumpe kann - nach dem derzeitigen "State of the Art" - am einfachsten die Insulinausschüttung eines gesunden Menschen nachgeahmt werden. Mit einem Humaninsulin steht auch diese Therapiemethode auf der Kippe, da die zugeführte Basalrate dann nicht mehr zeitnahe wirken würde, sondern die Reaktion deutlich verzögert abläuft. Was die Anpassung an das alltägliche Leben des Diabetikers erheblich erschweren würde.
Durch die anzunehmende, vermehrte Anzahl von Folgeschäden kommen ebenfalls hohe Kosten auf das System der gesetzlichen Krankenkassen zu.

Sehr geehrter Herr Bundesminister Dr. Rösler, Sie haben auf dem Gebiet der Chirurgie promoviert, Sie kennen die Kosten, die mit umfangreichen chirurgischen Eingriffen einhergehen. Als Folgeschäden kommt insbesondere das Absterben von Gliedmaßen in Betracht, aber auch die Erblindung. Sehr geehrter Herr Dr. Rösler, wir dürfen davon ausgehen, dass Ihnen das Leid bekannt ist, mit dem Menschen täglich umgehen müssen, denen aus medizinischen Gründen Gliedmaßen amputiert werden mussten. Prothesen sind zudem sehr aufwendig und teuer. Wir halten es ebenso für einen besonders schweren Eingriff in die Grundrechte jedes einzelnen Betroffenen, im Besonderen fühlen wir uns in dem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verletzt. Wenn Sie eine solche Richtlinie billigen, greifen Sie mittelbar in unsere körperliche Unversehrtheit ein; hierzu möchten wir betonen, dass wir unverschuldet in diese Situation geraten sind und der Diabetes mellitus Typ-1 nicht durch eine falsche Lebensart provoziert ist.

Der Diabetes mellitus Typ-1 wird in der Regel im vorpubertären Alter manifestiert, die Betroffenen haben also mindestens 50 Jahre mit dieser Krankheit zu leben. Es sollte ihnen möglich sein, möglichst beschwerdefrei an der Gesellschaft teilzuhaben und auch ihren Beitrag zu dieser zu leisten. Wozu wir bei einer guten Versorgung ohne weiteres in der Lage sind. Neben den hohen Kosten, die durch eine weitere Verordnungsfähigkeit, der Analoginsuline, abgemildert werden können, können viele Betroffene im Berufsalltag nicht auf ein Analoginsulin verzichten. Eine längere Mittagspause wird ihnen sicherlich nicht wegen eines langsamen Insulins genehmigt. Betroffene mit Folgeschäden sind in der Regel arbeitsunfähig, so dass neben den Kosten für das Gesundheitswesen dem Staat auch Steuern entgehen und hohe Aufwendungen für die soziale Sicherung entstehen.

In anderen "westlichen" Staaten werden überwiegend Insulinanaloga verordnet; eine ähnliche Diskussion, wie sie hier geführt wird, würde dort vermutlich als überaus lächerlich betrachtet. Sicherlich kann die Praxis in anderen Staaten nicht ausschlaggebend sein. Jedoch fragen wir uns, warum sich die anderen vergleichbaren Einrichtungen in diesen Staaten alle irren sollten.

Es ist tatsächlich zutreffend, dass Humaninsuline billiger sind, allerdings benötigen Erkrankte von dem - etwas teureren - Analoginsulin entsprechend weniger, so dass schon dadurch das Argument der höheren Kosten zu Teilen entkräftet werden kann. Hinzukommen die vorstehend ausführlich beschriebenen Kosten, bei Folgeschäden, schweren Hypoglykämien, usw. Des Weiteren wäre bei einem Wirksamwerden der in Rede stehenden Richtlinie, eine Neueinstellung der Diabetiker notwendig. Dies würde eine stationäre Behandlung erfordern, mit Schulungen und Arbeitsausfällen. Diese Kosten alleine, stehen schon in einem eklatanten Missverhältnis zu dem Zweck; mithin ist das staatliche Handeln offenkundig unverhältnismäßig.

Unserer festen Überzeugung nach, geht es hierbei nicht darum, dass an dem Nutzen des Analoginsulins gezweifelt wird. Offensichtlich sollen der Pharmaindustrie lediglich Preissenkungen abgenötigt werden. Dies mag eine löbliche Intention sein, jedoch darf dies nicht auf dem Rücken bzw. der Gesundheit der Versicherten ausgetragen werden. Hier muss dringend ein anderer Weg angestrebt werden, möglicher Weise aber auch auf Ebene der Europäischen Union eine übergreifende Lösung gesucht werden

Unserer Auffassung nach wäre es überdies wünschenswert, wenn Sie gesetzgeberisch tätig würden und die Betroffenen, sowie deren Interessenvertretungen, in Zukunft in einem geregelten, rechtsstaatlichen Verfahren in derartige Entscheidungen einbezogen werden. In der juristischen Literatur wird vielfach von der Verfassungswidrigkeit des G-BA und deren Ermächtigungsgrundlage ausgegangen (u.a. Gassner, in: PharmR 2007, 441; Schimmelpfeng-Schütte, in: NZS 2006, 567; Wartensleben, in: PharmR 2008, 46; Wolff, in: NZS 2006, 281).

Nach Ihrem Amtsantritt geht die Planung nun dahin, dass die Preise für Arzneimittel eingefroren oder von der Politik durch Zwangssenkungen, respektive Zwangsrabatte, gesenkt werden sollen. Daher ist eine Änderung der Richtlinie zu Verordnungsfähigkeit der Insulinanaloga nicht einmal zielführend.

Wir appellieren daher an Sie, sehr geehrter Herr Minister Dr. Rösler, dass Sie von Ihrem Einspruchsrecht Gebrauch machen und den G-BA nicht gewähren lassen. Wir hoffen, dass Sie diese Diskussion endgültig beenden können, so dass wir uns in Zukunft, nicht mehr um unser Insulin respektive unserer Versorgung sorgen müssen.

In Erwartung einer persönlichen Stellungnahme, die wir gerne im Zusammenhang mit diesem Brief veröffentlichen werden,

Hochachtungsvoll

Politik

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