Diabetes-Kids Elternblog: Schulbegleitung - JedenTag ein neues Abenteuer
Heute ist der letzte Schultag im alten Jahr. Ich steige aus meinem Wagen, nehme meine Tasche, ein letzter Blick aufs Handy, um zu überprüfen, ob noch eine Nachricht eingegangen ist. Laufe über den Schulhof, sehe die Schüler und freue mich. Schon höre ich meinen Namen rufen. Wünsche einen guten Morgen. Mein Begleitkind springt freudestrahlend auf mich zu. Per Kurznachricht bin ich bereits im Bilde, was der Blutzucker heute so treibt.
Zwölf aufregende Schulwochen liegen hinter mir. Meine Stimmbänder haben etwas gelitten, denn die waren es seither nicht gewohnt, so lange und laut sprechen zu müssen. Im Schulalltag muss die Stimme gegen eine ordentliche Geräuschkulisse ankämpfen. Besonders in der großen Pause, im Treppenhaus, in der Turnhalle und der Umkleidekabine würde man einen Presslufthammer nicht mehr zur Kenntnis nehmen. Im Sprechzimmer war ich meistens allein mit den Patienten. Schreien musste ich nur, wenn das Hörgerät vergessen wurde. Ein Radio dudelte leise im Hintergrund. Im Klassenzimmer steht ebenfalls ein Radio, doch statt meines Lieblingssenders erklingen hier Kinderlieder oder Entspannungsmusik. Hier gibt es noch keinen Alltagsdruck. Es geht langsam aber stetig voran und mit jedem Tag bemerke ich kleine Veränderungen.
Es ist ein tolles Gefühl mit dabei zu sein zu dürfen, wenn ein neuer Buchstabe richtig erkannt und benannt wurde, der erste Satz allein gelesen, wieder eine Aufgabe richtig gerechnet oder ein Zusammenhang verstanden wurde. Ich war so gerührt, als mein Schützling neulich mit "hundertelf" antwortete. Für Erstklässler ist es nicht selbstverständlich, dass sie dreistellige Zahlen richtig aussprechen können. Das kann nicht mal unser Mathe-Genie, der bereits im kleinen Einmaleins ganz fit ist.
Den Diabetes meines Begleitkindes musste ich ebenso kennenlernen, wie das Kind selbst. Jeder Diabetes ist ein bisschen anders und hat seine eigenen Spielregeln. Inzwischen sind wir ein eingespieltes Team und meistern zusammen den Schulalltag. Der ist oft gar nicht so vorhersehbar und beinhaltet viele kleine oder auch größere Überraschungen, wie einige krankheitsbedingte Komplettausfälle der Grundschullehrer, ein ausgelöster Feueralarm, Ausflüge, Kuchenverkauf, Adventsspiele im Hort, Plätzchen backen und vieles, vieles mehr.
Etwas bewegen und bewirken zu können, fühlt sich toll an und bestärkt mich, weiter zu machen. Die nächste Hürde wird nicht einfacher werden, denn als Schulbegleitung zu arbeiten ist ein enormes Risiko. Diesen Beruf muss man sich leisten können! Aus meiner Sicht ist er nicht gut bezahlt. Ich verdiene nur noch die Hälfte, obwohl ich von Montag bis Freitag arbeite, die gleiche Verantwortung für die Gesundheit einer mir anvertrauten Person trage. Genau so selbstständig und eigenverantwortlich handeln muss.
Ohne die Unterstützung meines Mannes wäre das nicht möglich gewesen. Wir hatten diesbezüglich einige Gespräche geführt. Schließlich ist der geringe Verdienst nicht das größte Problem, sondern hauptsächlich die stets befristeten Verträge. Man weiß nie, was in einem halben oder in einem Jahr sein wird. An welcher Schule und in welchem Umfang. Doch ich wollte es unbedingt wagen, denn ohne Schulbegleitung wäre mein Sohn heute nicht da, wo er ist. Ich hätte nicht mehr arbeiten gehen können, was damals nicht gut gewesen wäre, denn da hatte mein Mann noch nicht diesen unverschämt gut bezahlten Job. Wir mussten kämpfen, dass unser Sohn normal zur Schule gehen konnte. Jeder Tag war pure Anspannung. Des Öfteren musste ich die Praxis mit wehenden Fahnen verlassen oder mir heftige Kritik seitens der Schule anhören, warum ich bei Ausflügen nicht permanent telefonisch erreichbar war. Dass ich während einer Operation nicht plötzlich alles stehen und liegen lassen konnte, stieß auf wenig Verständnis. Meine Kolleginnen trugen alles mit. Hatten mein Telefon in der Tasche, wenn ich nicht rangehen konnte, oder sagten mir Bescheid, wenn ein Anruf an der Rezeption einging. Die Grundschulzeit meines Sohnes war für uns trotz Schulbegleitung kein Zuckerschlecken. Nicht, weil die Schulbegleitung ihren Job nicht gut gemacht hätte. Sie gab 200 Prozent! Doch manche Sachverhalte sind schwer zu verstehen, wenn man nicht 24 Stunden, sieben Tage die Wochen, Jahr für Jahr damit zu tun hat.
Diese Ereigniskette führte mich schließlich dorthin, wo ich heute stehe, denn das Diabetesmanagement ist und bleibt eine anspruchsvolle Angelegenheit. Je weniger der Diabetes auffällt, um so mehr Arbeit steckt dahinter. Trotzdem sind diese Kinder genau so leistungsfähig, wie ihre Mitschüler und erfreulicherweise ist dieses Wissen in den Schulen angekommen.
Im September, vor der Einschulung, war ich zur Vorbereitung bei einem dreitägigen Seminar für Schulbegleiter/innen. Dort saßen überwiegend Frauen, denen es ebenfalls so ergangen war. Die selbst beeinträchtigt waren oder eigene Kinder hatten, die an Krankheiten litten, wo eine Regelbeschulung nicht ohne Hilfe möglich gewesen wäre. Im Februar werde ich ein paar von ihnen an einem Reflexionstag wiedersehen und erfahren, wie es ihnen ergangen ist. Ich kann nichts Schlechtes berichten, denn ich fühle mich sehr wohl an dieser Schule und würde gerne länger bleiben. Doch das steht in den Sternen, denn da hat die Politik ordentlich mitzureden. Es gibt seit diesem Jahr neue Spielregeln bei der Weiterbewilligung für eine Schulbegleitung. Immerhin bin ich heute offiziell zum runden Tisch eingeladen worden. Muss man sich mal vorstellen, dass obwohl Schule und Eltern meine Anwesenheit bei der letzten Besprechung ausdrücklich wünschten, wurde das kategorisch abgelehnt. Grund: Beeinflussung. Was ich auch seltsam fand, dass der Inhalt des Erhebungsbogens nicht mit den Eltern besprochen und erst recht nicht weitergeben werden durfte, obwohl die Schule keine Ahnung hatte, was überhaupt geleistet werden musste/sollte. Mir erschließt sich der Sinn der Sache nicht. Wozu die Geheimniskrämerei?
Es bleibt spannend, wie beim Roulette. Die Kugel ist gefallen, nichts gilt mehr! Wie die Sache weitergeht werde, ich im neuen Jahr erfahren, wenn es in die nächste Gesprächsrunde geht. Das ist Mitte Januar. Mein offizieller letzter Arbeitstag wird der 28.02.2019 sein. Wer also zufällig eine Schulbegleitung für sein Kind sucht und keine findet, der kann an mich denken. Das ist der Grund, warum man lieber unbefristet arbeiten geht, vielleicht nur halb so viel Verantwortung trägt, einen angemessenen Stundenlohn bekommt, wo mit Lohnsteuerklasse 5 noch was übrig bleibt. Ich finde es ausgesprochen schade, dass es allen Parteien so schwer gemacht wird. Der, der Hilfe sucht und dem, der diese Hilfe geben könnte.
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