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Buchtips

„Leben süß-sauer“ Folge 5 It’s my party

Ich war gerade seit ein paar Wochen Diabetikerin, als mich meine Schulfreundin Annika zu ihrem Geburtstag einlud. Eine echte Herausforderung. Schließlich waren außer mir noch neun weitere kleine Gäste ohne Diabetes eingeladen, die sich auf die bei Kindergeburtstagen übliche Überdosis an Schokolade, Eis und Weingummi freuten. Bisher hatte es mir nie wirklich etwas ausgemacht, keinen der Negerküsse zu nehmen, mit denen junge Referendare immer versuchen, ihre Schüler zu bestechen, oder ins Kino eine Tupperdose mit Paprikastreifen mitzunehmen, statt mir Popcorn zu kaufen. Aber als Annikas Mutter mir an diesem Nachmittag die Tür öffnete und dabei einen selbst gebackenen Kuchen in der Hand hielt, den sie soeben aus dem Ofen geholt hatte, wusste ich, dass dies zwar ein Kindergeburtstag war, darum aber noch lange kein Kinderspiel werden würde.

Im Haus dann hätte ich es mir lieber in der Hölle oder im Matheunterricht gemütlich gemacht als an dem bunt geschmückten Esstisch im Wohnzimmer von Annikas Eltern. Jedes Kind hatte per Namensschild einen Platz zugewiesen bekommen, an dem es sitzen sollte. Auf allen Plätzen standen kleine Geschenk-Pakete mit Süßigkeiten – nur nicht auf meinem. Ich musste mir nicht die Mühe machen, das Namensschild zu lesen, als ich den liebevoll dekorierten Teller mit Rohkost und Miniwürstchen sah. „Das darfst du doch alles essen?“, strahlte mich Annikas Mutter an, die gerade mit einem weiteren Kuchen aus der Küche kam. WILL ICH ABER NICHT!

Obwohl ich so kurz vor den Tränen war, wie die Geburtstagsmeute davor, die beiden Kuchen zu vernichten, blieb ich höflich und antwortete brav: „Ja, danke. Das ist wirklich nett von ihnen.“

Sie habe sich extra bei ihrer Nachbarin erkundigt, was man mit Zucker denn noch essen dürfe, erzählte mir Annikas Mutter daraufhin nicht ohne Stolz, der Sohn der Nachbarin habe das nämlich auch und könne da aber eigentlich ganz gut mit leben, ob ich mich nicht mal mit ihm verabreden wolle, er sei so alt wie wir und wirklich sehr nett, und man müsse sich doch austauschen, wenn man so eine Krankheit habe. Ausgetauscht hätte ich mich in diesem Moment am liebsten aber nicht mit einem, sondern gegen einen anderen Menschen; ein anderes Mädchen in meinem Alter vielleicht, im Notfall sogar gegen einen Jungen oder einen Physiklehrer – ich wollte nur nicht mehr Diabetikerin sein. Ehe ich jedoch in meinem Selbstmitleid versinken konnte, fingen die ersten Gäste an, sich beim Kuchenessen zu langweilen (undankbares Volk), und wollten lieber Spiele spielen.Erleichtert atmete ich auf – bis ich sah, welche Spiele da vorbereitet worden waren. Angefangen wurde mit Topfschlagen. Ein Klassiker. Und klassischerweise war was unter dem Topf versteckt? Richtig! Süßigkeiten. Natürlich nicht, als ich an der Reihe war. Ich bekam eine Plastikschlange mit beweglichen Gliedern, von der Annikas Mutter behauptete, ich könne damit sicher ganz toll meine Eltern erschrecken. Wie sie zu der Annahme kam, ich könne meine Eltern erschrecken wollen, war mir schleierhaft.

Die Schlange war nicht das Letzte, was mich an diesem Nachmittag in aller Überdeutlichkeit daran erinnern sollte, dass ich Diabetikerin war und alle anderen nicht. Ganz sicher meinte Annikas Mutter es dann auch beim Abendessen nur gut mit mir, als mein Nachtisch in einer Extra-Schüssel serviert wurde, weil sie den nur für mich und „wirklich ganz ohne Zucker, nur mit diesem Süßstoff“ gemacht hatte. Hätte sie den ganzen Wackelpudding mit Süßstoff zubereitet und es außer mir niemandem erzählt, wäre alles gut gewesen. So aber sah ich mich nicht in der Lage auch nur eine weitere Sekunde am Tisch sitzen zu bleiben, ohne dass Tränen fließen würden. Aufstehen konnte ich aber dummerweise nicht, weil mir gerade am Abend zuvor meine Großmutter eingebläut hatte, wie unhöflich es sei, den Tisch zu verlassen, während andere noch aßen. Also heulte ich hemmungslos in meinen Süßstoff-Wackelpudding. Und wusste natürlich nicht, dass das noch viel unhöflicher war, als wenn ich aufgestanden wäre und gesagt hätte, ich müsse früh nach Hause, mein Vater sei Italiener und sehr streng mit mir. So zog ich also den Zorn von Annikas Mutter auf mich, die sich so viel Mühe gegeben und wirklich alles dafür getan hatte, dass ich die Feier genießen konnte. Ein fast gelungener Abschluss.

Hinweis von Diabetes-Kids.de:
Weitere Folgen der Serie „Leben süß-sauer“ werden wir ab sofort in regelmässigen Abständen hier veröffentlichen.
Herzlichen Dank an Frau Guadagno für diese tollen Geschichten.

Nächste Folge

Alle bisherigen Beiträge dieser Serie findet ihr hier

Buchtips, Lesetip

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