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Diabetes-Kids Elternblog: SCHULBEGLEITUNG - EINE ÄRA GEHT ZU ENDE

mibi74
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Geburtsjahr: 2005
Therapieform: CSII + CGM (DIY Closed Loop Insulinpumpentherapie mit Glukosesensor)
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Diabetes-Kids Elternblog: SCHULBEGLEITUNG - EINE ÄRA GEHT ZU ENDE

02 Aug. 2024 02:17
#128000
Heute war mein letzter Arbeitstag angebrochen. Um meine Anspannung unter...

Heute war mein letzter Arbeitstag angebrochen. Um meine Anspannung unter Kontrolle zu bringen, gönnte mir ein ausgedehntes Frühstück. Ging den Ablauf ein letztes Mal durch. Für die Zeugnisübergabe in der Aula wählte ich etwas Schickes aus dem Kleiderschrank. Kein Make-up. Ich wollte diesen Tag mit Würde über die Bühne bringen und nicht wie ein verheulter Panda aussehen. Bevor ich das Haus verließ, noch ein letzter prüfender Blick in den Spiegel. Nie im Leben hätte ich gedacht, dass dieses Schuljahr auf diese Weise enden würde! Das Schicksal war mir erneut vor die Füße gefallen. Und wie! Vor sechs Jahren hatte ich als Schulbegleitung angefangen, wurde recht schnell zur Schulassistenz für zwei Klassen und jetzt zusätzlich in der Funktion als „kleine Klassenlehrerin“. Und der winzige Kieselstein, der diese Ereigniswelle ausgelöst hatte, war der Diabetes meines Kindes. Bevor ich das Haus verließ, brummte ich vor mich hin: „Das glaubt mir kein Mensch!“

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mibi74
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Re: Diabetes-Kids Elternblog: SCHULBEGLEITUNG - EINE ÄRA GEHT ZU ENDE

10 Nov. 2024 11:55 - 10 Nov. 2024 12:30
#128512
In Sachen Schulbegleitung geht es seit September nicht mehr um Diabetes. Der Herzschmerz war groß, aber es war die richtige Entscheidung, auch wenn ich dafür meine Komfortzone verlassen musste. In jeglicher Form. Deshalb füge ich es an dieser Stelle als Fortsetzung hinzu. Sozusagen für die Nachwelt.

Das Aufgabenfeld hat sich verändert. Aber nicht, was inner- und außerhalb vom Kosmos Schule passiert. Noch ahnt keiner von uns, welche Auswirkungen die Teilhabe Gesetzesänderungen haben werden. Die ersten Auswirkungen sind bereits im Sommer deutlich geworden und werden nach meiner Einschätzung im kommenden Sommer über uns hereinbrechen. Sie beginnen an der Front, die sich Schule nennt. Den Begriff Front finde ich in Anlehnung an kriegerische Handlungen nicht sonderlich passend. Trotzdem, es ist ein Ort, wo die unterschiedlichsten Interessen aufeinanderprallen, und da kann es durchaus hitzig zugehen. Es geht ums Eingemachte. Um die Finanzierung. Wer bekommt welchen Zugang und mit welchen Mitteln. Durch die bestehenden Strukturen die Inklusion ausbremsen gehört es zur Ehrlichkeit dazu, dass ich eine Dienstleistung erbringe und meine eigenen Interessenkonflikte austrage. Als Gretchenfrage formuliert: Bin ich Teil der Lösung oder des Problems? Beides. Für Schule, Kind und Eltern bin ich die Lösung und für das Kultusministerium und Landkreis das Problem.

Die Ironie an der Sache ist, wäre die Inklusion dort, wo sie sein sollte, dann wäre ich mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit noch glücklich und zufrieden in einer Praxis tätig und niemals wäre der Gedanke in mir aufgekeimt in einer Grundschule zu arbeiten. Wie ärgerlich das sein muss, wenn man die Kosten sehr vieler Schulbegleitungen einsparen hätte können, wenn man mal rechtzeitig angefangen hätte. Ich kenne einige Kolleginnen, die aus ähnlichen Beweggründen den Weg eingeschlagen haben und fünf davon haben selbst ein Kind mit Diabetes. Tja, so wie es aussieht hat das Monster sich selbst gefüttert. 2020 waren es 3 Millionen. 2024 lagen die Ausgaben unseres Kreises bei 8.7 Millionen Euro für den Posten Schulbegleitung. Und das ist der Grund, warum ich davon ausgehe, dass der Knall zeitnah erfolgen wird. Was den Ämtern vorschwebt wurde bereits in der Presse veröffentlicht. Die letzte strukturelle Änderung ging nahezu unbemerkt über die Bühne und stellt dieses Schuljahr noch mehr auf den Kopf. Aus meiner Perspektive ist man zu dem Schluss gekommen, dass Inklusion zu teuer ist.

Während das Klassenzimmer ein friedlicher Ort des Lernens ist, herrscht an viel zu vielen Tagen der Ausnahmezustand, weil es an Personal mangelt. Ach, ich hatte vergessen, es gibt ja gar keinen Mangel an Lehrkräften. In 30 Prozent der Schulen wären genug da. Das war jetzt Ironie und ein Beispiel, wie man es sich schönredet. Was kann man auch erwarten, wenn THE LÄND mit: „Keinen Bock auf Arbeit? Dann werden sie Lehrer*in!“, wirbt. Was wohl passiert wäre, wenn auf dem Plakat gestanden hätte: „Keinen Bock auf Arbeit? Dann werden Sie Eltern!“
Also für den, der das glaubt, gibt’s in beiden Fällen ein bitterböses Erwachen. Vor allem, wenn das Kind auch noch so exklusive Anhängsel wie Diabetes mit sich trägt.
Deutschland ist das Land der Dichter und Denker. Warum auch immer, ist untergegangen, dass zum Denken auch Machen gehört. Machen ist wie Wollen, nur krasser!

Was mich zu meiner Realität im Klassenzimmer zurückbringt. Mit kreisdenkenden Theorien kann ich mich nicht aufhalten, sondern muss mich ganz realen Bedingungen stellen. Als ich die Stelle angenommen hatte, wurde ein Bad an Problemen und Erwartungen über mich ausgeschüttet Bis jetzt arbeite ich mich systematisch in ihrer Bewältigung ab. Wie beim Diabetes geht es nur Schritt für Schritt, um Teilhabe und Mitbestimmung (Partizipation) zu ermöglichen. Die Verantwortung für ein Leben zu übernehmen hat eine neue Qualität bekommen. Mein Gefahrenradar hat sich inzwischen auf das Kind eingestellt, auch wenn das wie beim Diabetes im Hintergrund abläuft. Nach Unterrichtsende fordert das seinen Tribut. Dann bin ich fix und alle. Selbstführsorge ist wichtig. Nein, ich mache kein Yoga! Und Pillen brauche ich auch keine. Das ist jetzt gemein, aber ich verfüge wieder vollständig über das Resort Schlaf. Ich kann jederzeit tiefenentspannt schlafen. Gut, die ersten Minuten, wenn ich zu Hause ankomme, würde ich eher unter Koma verbuchen. Schwieriger sind die nicht enden wollenden Erkältungswellen. Auszufallen würde nicht nur die Ebene des Kindes treffen, sondern Elternhaus und …Halb so schlimm? Wie man es nimmt. Beide sind Lehrer. Davon gibt’s laut Kultusministerium genug und Unterrichtsausfall, nie gehört.

Als angekommen würde ich mich noch nicht bezeichnen. Die ersten Tage hatte ich morgens das Gefühl in die falsche Richtung zu fahren. Statt Ampeln und Baustelle, die mir seit sechs Jahren den Tag versüßten, hätte ich jetzt freie Fahrt. Hätte die Flut im Sommer nicht die Straße(n) weggerissen. Jetzt muss ich mit der Kirche ums Dorf fahren und das mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit für einen sehr langen Zeitraum. Wenigstens fahre ich gegen den Strom. Im Dunkeln sieht das morgens witzig aus, wie die Fahrzeuge in einer endlosen Lichterkette entgegenkommen. Fast als müsste der Ort schnellstmöglich evakuiert werden. Dafür ist der Sonnenaufgang wirklich spektakulär! Er entschädigt mich für die Qual so früh unterwegs zu sein. Wie oft hatte ich meine Kinder damit aufgezogen, dass ihr Unterricht vor 8 Uhr begann. Im Sommer dachte ich, dass es keine Steigerung der Mama Taxis geben würde. Wer das denkt, kennt die hiesigen Busfahrer nicht.
In Kombination mit dem Irrsinn, was kreuz und quer vor der Schule parkt, sollte man definitiv nicht trantütig durch den verkehrsberuhigten Bereich laufen! Ich dachte Stadtkinder leben gefährlich. Von wegen! Noch schlimmer ist das Risiko auf dem Land von einem Mama Taxi überrollt zu werden. Oder vom Schulbus, der das Auto umfahren muss.

Das Klassenzimmer, meine neue Wirkungsstätte, ein kleiner Raum mit viel zu vielen Schülern. Es fühlt sich nicht nur an, als ob alles aus den Nähten platzen würde. Ausweichen ist kaum möglich. Jede Nische wurde bereits als Stauraum genutzt. Überall herrscht penible Ordnung, damit man von der schieren Masse an Dingen nicht erschlagen wird. Die schöne durchgängige Fensterfront gibt den Blick auf den kleinen Pausenhof frei, lässt allerdings auch schonungslos die Sonne herein. Nicht nur die Sonne heizt, auch die dreißig Körper im Inneren des Raumes. Die elektrischen Jalousien könnten es erträglicher machen, doch bei dem kleinsten Luftzug fährt das System sie wieder nach oben, was quasi immer der Fall ist. Meine Hoffnung, dass die Wintermonate Linderung verschaffen, scheinen nicht aufzugehen. Frieren scheint in dieser Schule ein Ding der Unmöglichkeit.

Mein jetziger durchschnittlicher Bewegungsradius beträgt 2 Meter.
Oft stehe ich aus Platzmangel in Türnähe. So eng, dass ich jedes Mal zur Seite trete, wenn ein Schüler zum Klo muss. Danach stehe ich mit voller Absicht vor der Tür, um ein kraftvolles Aufschwingen zu vermeiden, denn wer rausgeht muss auch wieder hereinkommen. Lieber bekomme ich die Tür ab als das Kind im Rolli, das 50 cm von mir entfernt beim Bewegungsliedchen tanzt oder seinen Müll in den Abfalleimer wirft.
Es gibt, bis auf eine Ausnahme, nur Gruppentische an denen immer fünf bis sechs Kinder sitzen. Ich bin nicht die einzige Schulbegleitung in dieser Klasse. Wir sitzen uns, wenn ich es denn mal kann, am gleichen Gruppentisch gegenüber.

Die Schülerschaft ist hier anders. Angenehm anders. Bewegungs- und verhaltenskreative Kinder gibt’s in jeder Klasse, aber nicht mehr als im Vergleich zur letzten Klasse. Die toppt eh niemand. Hoffe ich. Was nicht heißt, dass die kommenden Monate ein Zuckerschlecken werden. Während ein paar von ihnen keine Scheu verspürten, gleich in der ersten Woche ihr ganzes Spektrum an Persönlichkeit auszuleben, kochen sich andere Kinder erst allmählich hoch.Für mein Begleitkind sind besonders diese Kinder eine nicht zu unterschätzende Gefahrenquelle, da es unter keinen Umständen Stöße abbekommen darf. Vieles was für uns alltäglich ist, ist für dieses Kind nicht normal. Es würde niemals aus einer Tür rollen, wenn alles zum Pausenhof stürmt oder die Klassenzimmer gewechselt werden müssen. Warum habe ich schnell registriert, wenn man sich auf die Ebene des Kindes herunterbegibt. Seine Erlebniswelt findet auf Höhe meiner Knie statt.
Um den Rolli zu schieben, muss ich mich trotz ausgefahrener Halter noch ein ganzes Stück nach unten beugen. In neuer Funktion als Bodyguard muss ich auffällige Bewegungsmuster erkennen, einsortieren und zuweilen verdammt schnell werden. 

Die Kinder, mit denen sich mein Begleitkind angefreundet hat und ich merke, dass sie ihn nicht als Püppi sehen, mit denen mache ich den „kleinen Rolliführerschein“. Sie dürfen mit Einverständnis des Kindes, behilflich sein und den Rolli schieben. Erst einmal nur beim Zimmerwechsel oder auf dem Pausenhof. Rennen is nich! Im Sportunterricht taste ich mich an die Belastbarkeit des Rollis heran. Ich bin halt nicht nur Bodyguard, sondern auch Hände, Arme und Beine. Ergo, im Sportunterricht bin ich die, die schwitzt und mein Begleitkind freut sich irrsinnig am Rausch der Geschwindigkeit. Selbst hat es nicht die Kraft, um sich schnell zu bewegen. Außer es geht den Berg hinunter. Bremsen wird mit Glasknochen überbewertet.

Mit dem Ende der Herbstferien gehen wir es weiter an. Schritt für Schritt. Bin gespannt, ob mir im Frühjahr jemand erklärt, dass ich ein unnötiger Kostenfaktor bin. Können doch die Lehrkräfte machen. Leicht genug wäre das Kind auf jeden Fall, denn es ist nicht größer als ein sechs Monate altes Kind. Doch nur keine falschen Vorstellungen. Es ist sauschlau! In meiner Galerie lege ich immer mal wieder Bilder von Aktivitäten und Ausflügen mit den Erstis ab. Für die Nachwelt in der Inklusion kein Gedanke sondern Wirklichkeit geworden ist.   
Letzte Änderung: 10 Nov. 2024 12:30 von mibi74.

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