Hallo Zusammen,
unser Sohn ist dieses Jahr in NRW eingeschult worden. Er wird ganztätig, d.h. während der Schulzeit und auch in der Nachmittagsbetreuung, von einer Assistenz begleitet. Die Kosten werden vom Träger der Krankheitskosten übernommen (in unserem Fall Beihilfe Bund und private Krankenkasse). Der Weg zur Kostenübernahmezusage war steinig. Alle Familien in derselben Situation, die wir kennen, mussten für die Kostenübernahme kämpfen oder kämpfen immer noch, obwohl die Schule in NRW bereits vor einem Monat begonnen hat. Deshalb wollte ich einfach mal aufschreiben, wie es bei uns gelaufen ist.
Es geht nicht um Feinheiten, ob man möchte, dass Kinder mit Behinderung an der Schule teilhaben dürfen und es deshalb „Teilhabe“ ist, sondern lediglich darum, wer die Kosten zu tragen hat.
Es geht auch nicht darum, ob jedes Kind eine Schulassistenz braucht oder will. Das ist eine Entscheidung, die jede Familie für sich mit Hinblick auf die Bedürfnisse des Kindes bzw. auch die Leistungsfähigkeit der Schule / Ganztagsbetreuung treffen muss. Manche Schulen weigern sich, Kinder ohne Assistenz zu betreuen oder zu beschulen. Bei anderen Schulen bestehen keine Berührungsängste und es läuft auch ohne Assistenz gut.
Obwohl die gesetzlichen/ rechtlichen Voraussetzungen bundesweit einheitlich sind (mal abgesehen von den Beihilferegelungen der Bundesländer, wenn ein Kind beihilfeberechtigt ist, wobei diese allerdings hier auch deckungsgleich sein sollten) scheint es doch in den verschiedenen Bundesländern, vielleicht auch sogar innerhalb der Bundesländer, unterschiedliche Vorgehensweisen zu geben. Ich schildere hier einmal, wie es bei uns im Rheinland gelaufen ist bzw. läuft.
Bis vor 1-2 Jahren wurden Schulassistenzen auch für Kinder mit Diabetes Typ 1, so wie ich das verstanden habe, ganz überwiegend von den Sozialämtern als Teilhabeleistung übernommen. Inzwischen sind die Kommunen aber zur Erkenntnis gekommen, dass es sich bei Begleitung von Kindern mit Diabetes Typ 1 um eine Leistung der häuslichen Krankenpflege handelt, die von den Trägern der Krankheitskosten zu übernehmen ist, wenn sie verordnet ist. Die Kommunen leiten also Anträge auf Assistenzleistungen an die gesetzlichen Krankenkassen weiter bzw. verweisen die Familien an die Krankenkassen.
Für zusätzliche Verwirrung sorgt, dass das zuständige Ministerium in NRW noch im Jahr 2022 eine Broschüre veröffentlicht hat, laut der die Leistung eher als Teilhabeleistung zu verstehen ist. Das Ministerium verweist auf eine in diese Richtung weisende Entscheidung des Sozialgerichts Fulda. Diese Entscheidung wurde allerdings vom zuständigen Landessozialgericht korrigiert.
Jedenfalls haben wir die Leistung auch im November 2022 bei der zuständigen Kommune als Teilhabe-Leistung beantragt. Diese hat den Antrag mit der Begründung abgelehnt, dass die Leistung nicht in den Bereich der Teilhabe falle. Da unser Sohn beihilfeberechtigt und privat versichert ist, wurden wir dazu aufgefordert, uns selbst mit unseren Trägern der Krankheitskosten auseinanderzusetzen. Bei gesetzlich versicherten Kindern hat die Kommune den Antrag an die jeweilige gesetzliche Krankenversicherung weitergeleitet. Das ist das übliche Verfahren nach § 14 SGX IX.
Jedenfalls - das werden einige von Euch mitbekommen haben – gibt es jetzt verschiedene Problemkreise, wenn man sich direkt an die Krankenkassen wendet bzw. wenn diese durch Weiterleitung seitens der Kommune zuständig werden:
1. Teilhabe oder Krankenkassenleistung:
So wie ich es verstehe und was ich der Mehrheit der dazu in den letzten Jahren ergangenen Gerichtsurteilen entnehme: Was wir täglich an unseren Kindern leisten, ist Behandlungs- und Krankenpflege, teilweise auch weitere Pflege. Denn egal, ob das Kind jetzt zu Haus is(s)t oder in der Schule - Zucker messen, Insulin geben und beobachten muss immer erledigt werden, ist also unabhängig vom Schulbesuch.
Anders ist das teilweise bei Einschränkungen, die ausschließlich im Zusammenhang mit dem Schulbesuch auftreten bzw. virulent werden. So etwas habe ich vor allem bei Kindern mit verschiedenen Einschränkungen im geistigen Bereich gehört oder von solchen, die sich „nicht führen lassen“.
Nach dieser Definition sind wir bei Kindern mit Diabetes Typ I im Bereich der sog. häuslichen Krankenpflege. Wer sich jetzt wundert, warum häusliche Krankenpflege in der Schule bzw. Ganztagsbetreuung, der kann statt z. B. mal in § 37 Abs. 1 Satz 1 SGB V schauen, danach ist auch notwendige Pflege in der Schule häusliche Krankenpflege.Damit verstehe ich und sehe ich das auch so, dass Krankenkassen die Kosten grundsätzlich allein zu tragen haben.
2. Was müssen die Krankenkassen übernehmen? Nur 3-10 x täglich der Pflegedienst oder auch die (durchgängige) Diabetes-Überwachung der Kinder?
Wir haben uns also eine Krankenpflegeverordnung der Klinik ausstellen lassen. Das Formular ermöglicht aber nur ganz rudimentäre Eintragungen, z. B. zu Häufigkeit der Blutzuckermessungen und Insulingaben. Insbesondere die Überwachung, wenn gerade nichts aktiv zu machen ist, lässt sich dort nicht abbilden. Deshalb wurde die Krankenpflegeverordnung durch eine zusätzliche Verordnung bzw. ein ärztliches Schreiben ergänzt, aus der sich die Notwendigkeit einer durchgehenden Krankenbeobachtung (wieder ein Fachbegriff für die Krankenkassen) ergibt.Bisher gab es in NRW keine sozialgerichtliche Entscheidung, die das geklärt hat. Jetzt gibt es eine: SG Köln Az. S 23 KR 1359/20 (findet man inzwischen auch im Netz).
Danach ist die Krankenkasse in dem Fall 1. für Krankenpflege und Krankenbeobachtung zuständig und hat 2. die Begleitung (bei Notwendigkeit und Verordnung) zu leisten.
Laut Aussage unserer privaten Krankenkasse ist das Vorgehen in den Bundesländern uneinheitlich. Allerdings gibt es in den anderen Ländern inzwischen genügend auch obergerichtliche Rechtsprechung, die auf derselben Linie ist. Ich gebe zu, das ist rechtlich sehr verkürzt, aber ich glaube, man muss hier auch nicht weiter in die Tiefe gehen.
Jedenfalls hat es nach mehreren Schreiben und letztlich mit Hinweis auf dieses Urteil (des bei einer Klage auch für uns zuständigen Gerichts) endlich geklappt und die private Krankenversicherung hat ihre Leistungspflicht anerkannt.
Was wir bisher aber mitbekommen haben:
· Manche Krankenkassen akzeptieren ihre Leistungspflicht, reibungslos lief es bei niemandem, den wir kennen. Die Krankenkassen wollen natürlich auch erst einmal nicht zahlen – es geht ja um mehrere tausend Euro pro Monat über mehrere Jahre.
· Wir wissen derzeit von zwei (z. T. berufstätigen) Müttern, die ihr Kind in die Schule begleiten, weil sie keine Bewilligung bekommen haben. Strukturell kommen meistens immer noch die Mütter unter „die Räder“, reduzieren Arbeitszeit (und Gehalt und Altersversorgung) oder verlieren den Job gleich ganz.
· Die Lokalzeit im WDR hat mehrfach von Familien in dieser Situation berichtet. Als der WDR bei den Kostenträgern nachfragte, wurde die Kostenübernahme plötzlich zugesagt .· Wir wissen auch von mehreren Familien, die erst nach Einschaltung eines Anwalts zu ihrem Recht gekommen sind (Fälle aus BW und NRW).
· Wir haben das Gefühl, dass insbesondere Familien, die im Umgang mit Behörden nicht firm sind, die darauf vertrauen, dass die Entscheidung schon richtig sein wird - mag sie auch ungerecht sein und die Familien vor größte Herausforderungen stellen, die sich nicht trauen oder nicht in der Lage sind, für die Rechte ihres Kindes zu kämpfen – ob allein, mit einem Anwalt oder den Medien oder die nicht gut Deutsch sprechen hier nicht zu ihrem Recht kommen. Es leiden alle.
Das kann nicht sein. Ich glaube, ich spreche hier allen aus dem Herzen, dass man schon genug Aufgaben und Einschränkungen hat. Und insbesondere die Kinder.
3. Wo bekomme ich meine I-Kraft her?
In manchen Städten sind bestimmte Träger für einzelne Schulen zuständig. Die Träger stellen aber häufig nur die Assistenzen, die über den Teilhabeweg bewilligt werden. In unserer Stadt hätte es aber andere Träger gegeben, die in Frage gekommen wären. Wir hatten das Glück, dass unser bisheriger Träger und unsere Kita-Assistenz bereit waren, unseren Sohn auch in der Schule zu unterstützen. Ansonsten hilft wohl nur suchen und suchen. Vielleicht gibt es auch Träger aus anderen Kommunen, die eine I-Kraft übernehmen oder auch solche, die eine mitgebrachte Kraft einstellen (wenn sie sich um nichts außer der Abrechnung zu kümmern haben).
Also das jetzt mal als kleiner Erfahrungsbericht. Das ist auch nicht der Stein der Weisen und man kann es gerne anders sehen. Nur hat es jetzt eben so bei uns und einigen anderen Familien geklappt.