Eine Ära geht zu Ende
Aus und vorbei! Mein Begleitkind zieht weiter. Das ist gut und richtig so, denn die Begleitung von Kindern mit Diabetes ist eine kurzfristige Angelegenheit. Seit letztem Jahr hat sich viel verändert, sodass ein großer Teil der Anträge von Eltern gestellt werden, die selbst im pädagogischen oder medizinischen Bereich tätig sind. Wer sich nicht auskennt oder niemanden hat, der beratend zur Seite steht, hat potenziell verloren! Die Anträge werden verschleppt oder abgelehnt. Keine Ahnung, ob ich noch einmal Schulbegleitung für ein Kind mit Diabetes werde. Es ist aus vielfältigen Gründen schwer geworden. Inzwischen reagiere ich auf Anfragen von Ämtern recht ungehalten, denn für 10 Stunden pro Woche sollen sie sich lieber eine Pizza bestellen und hoffen, ob eine Schulbegleitung dabei herauskommt. Ich sehe mich als Fachkraft und nicht als Pizzabotin oder sekundäre Wünsche-Erfüllungsgehilfin.
Ganz besonders belastend war für mich dieses Jahr einer Familie abzusagen, dessen Kind nicht in den Kindergarten gehen konnte und somit ein Elternteil nicht arbeiten. Mein Herz schlägt für Kinder mit Diabetes! Aber nachdem ich mit der Mutter meines zukünftigen Begleitkindes zum ersten Mal telefonierte, war die Entscheidung für mich gefallen und die Worte gesprochen: „Ja, ich mach´s.“ Die Zeit war zu kurz und beiden Familien brannte die Last unter den Nägeln. Beide arbeiteten im Schuldienst. Beide waren zutiefst verzweifelt. Die Schule, in der ich seither tätig war, wollte mich natürlich auch nicht hergeben.
Schulbegleitung bedeutet für mich Kind, Eltern und Lehrkräften Halt, Orientierung und Sicherheit zu geben. Es bedeutet, dass ein zukünftiger Erstklässler mit Glasknochen eine größere Priorität hat als ein Kindergartenkind mit frisch diagnostiziertem Diabetes.
Als das Telefonat mit den Worten endete: „Machen Sie sich keine Sorgen. Ich mach das und wenn ich das Ihnen jetzt zusichere, gilt das. Sie können morgen entspannt in den Urlaub fahren. Wir sehen uns im September.“ Danach habe ich geweint und definitiv nicht vor Glück! Diese Entscheidung zu treffen war für mich zutiefst schmerzhaft. Und selbst das ist noch gewaltig untertrieben.
Am letzten Schultag hatte ich die Bombe in der anschließenden GLK (Gesamtlehrerkonferenz) platzen lassen. Donnerstag, am ersten Ferientag war ich schon kurz nach 8 Uhr in der Schule. Im Klassenzimmer gab es noch einiges zu tun, damit es ordentlich übergeben werden konnte. Danach gabs eine langanhaltende Verabschiedung durchs ganze Schulhaus und zum Schluss der formelle Akt der Schlüsselabgabe im Sekretariat. Die Sekretärin hatte mich doch noch aus der Fassung gebracht und wir lagen uns heulend in den Armen.
Jetzt wird man sich vielleicht fragen, wieso man als Schulbegleitung das Klassenzimmer übergibt.
Also das war so:
Dieses Jahr verabschiede ich das zweite Mal eine Klasse, mit der ich seit drei Jahren über mein Begleitkind verbunden war. Dieses Jahr nicht nur als Schulbegleitung, sondern seit über einem halben Jahr auch in Funktion als „kleine Klassenlehrerin“, da der amtierende Klassenlehrer wegen einer schweren Erkrankung nicht nur nicht unterrichten konnte, sondern wirklich gar nichts mehr ging. Er war nur noch zwei Mal da. Als Gast zum Klassenfest und bei der Übergabe der Zeugnisse.
Sehr viele Kinder der Klasse sind genauso verhaltenskreativ, wie deren Eltern. Letzter waren die 8. Plage mit Weltuntergangscharakter. Sie haben mich geformt und zur pädagogischen Fachkraft, zur Krisen- und Konfliktmanagerin ausgebildet. Zur Psychologin, die auch den Lehrkräften regelmäßig ihr Krönchen zurechtrücken musste. Mein Begleitkind gehörte, wie sollte es auch anders sein, nicht dazu.
An dieser Stelle:
DU BIST MEINE HELDIN! Für alles, was du und ich in den Jahren über uns ergehen und aushalten mussten. Dein Geduldsfaden ist nur selten, dann aber berechtigt gerissen. Dein Humor war so legendär wie deine Klasse. Ich wünsche dir in den nächsten acht Jahren mehr Glück mit deinen Mitschülern. Wir beide sind jetzt frei und ich bin mir sicher, dass du deinen Weg genauso konsequent weitergehen wirst!
Gestern habe ich mich in der neuen Schule vorgestellt. Eine kleine ländliche Grundschule. Ich werde erst einmal mit meiner Familie, die in den letzten Wochen viel auf mich verzichten musste, in den Urlaub fahren und mich erholen. Ich plane die letzten drei Jahre humorvoll aufzuarbeiten, aber zuerst brauche ich ganz, ganz dringend Abstand.
Bitte Anmelden oder Registrieren um der Konversation beizutreten.