Diabetes-Kids Expertenforum

Veröffentlicht in Fragen und Antworten.

Die Diabetes-Kids Expertin zum Thema: Kind gibt kein Insulin ab

Frage:
Meine Tochter hat mit 9 Diabetes bekommen und wird bald 13.
Das erste Jahr verlief eigentlich problemlos. Sie hielt sich an die Regeln, wir hatten nahezu durchgehend perfekte Werte, stets um die 100mg/dl (5,6mmol/l).
Vor einem Jahr hat sie dann ihre Pumpe bekommen und das war der Zeitpunkt, wo sie mit den Schluderei begonnen hat.

Solange alles im Rahmen bleibt, darf sie selbstverständlich alles essen. Ich verbiete nur etwas, wenn der Süßkram etc. zu viel wird.

Anstatt jedoch entsprechend zu bolen, isst sie einfach. Die letzten Abende (ich messe bei ihr immer noch bevor ich selber ins Bett gehe) war ihr Wert stets zwischen 350 und 400. Gestern habe dann auch den Grund in Form von Bonbons unter ihrem Kopfkissen gefunden.

Unsere guten Phasen, in denen sie sich an die Regeln hält, sind wirklich selten geworden. Ich versuche Verständnis aufzubringen. Ich habe ihr unzählige Male mögliche Folgen ihres Handels erklärt. Oft reagiere ich leider aber auch mit Verboten (Handy weg, Unternehmungen und Verabredungen werden gestrichen etc.) Ich weiß, dies ist wahrscheinlich der falscheste aller Wege, aber ich weiß mir nicht mehr zu helfen, bin ratlos, frustriert, hilflos und traurig.

Antwort von unserer Expertin, Frau Prof. Dr. Karin Lange:

Vielen Dank für Ihre Anfrage und die Schilderung der schwierigen Situation. Die guten Erfahrungen im ersten Jahr mit Diabetes machen fast alle Kinder mit der Stoffwechselstörung. In der Remissionsphase hilft das noch vorhandene eigene Insulin kräftig mit. Dadurch sind die Werte stabil, obwohl nicht alle Regeln eingehalten werden. Damit verbunden ist oft das Risiko, dass sich Eltern und vor allem Kinder entspannt zurücklehnen und den Diabetes nicht mehr so ernst nehmen wie ganz am Anfang. Das geht so lange gut, bis kein eigenes Insulin mehr produziert wird und die Schwankungen mehr werden. Auf einmal klappt es dann nicht mehr richtig, man ist frustriert, macht sich und anderen Vorwürfe, es kommt zu Konflikten in der Familie.

Mit der Pumpe werden dann große Hoffnungen verbunden, dass es einfacher wird, die Werte zu stabilisieren. Aber auch das funktioniert nur, wenn Kinder und Eltern alle Regeln befolgen und das Insulin in der richtigen Menge zum richtigen Zeitpunkt abrufen. Wenn nicht, wird die Frustration immer größer. Hat Ihre Tochter mit dem Beginn der Pumpentherapie an einer Schulung teilgenommen? Haben Sie sich gemeinsam mit dem Diabetesteam darüber abgestimmt, was ein Kind im Alter Ihrer Tochter bereits leisten kann und was nicht? Dies würde ich allen Eltern immer wieder empfehlen.

Ich kann mir vorstellen, dass Ihre Tochter genauso frustriert und traurig ist wie Sie. Sie zeigt es nur anders, indem sie sich gegen alle Regeln des Diabetes auflehnt und ihn ignoriert. Diese Situation ist beim Eintritt in die Pubertät häufig. Die Jugendlichen wollen sein wie alle anderen – aber der Diabetes zeigt, dass sie anders sind. Die Jugendlichen wollen selbständig sein, aber der Diabetes führt dazu, dass sie ständig von ihren Eltern überwacht und kritisiert werden. Sie möchten alles selbst können und erfahren jeden Tag, dass sie ihren Diabetes nicht im Griff haben. Sie wissen um die Langzeitrisiken ihres Diabetes, haben große Angst und stecken deshalb den Kopf in den Sand – ihnen ist alles egal, weil sie das Gefühl haben, ihr Leben nicht kontrollieren zu können. Die Folge dieser schwierigen Akzeptanz sind depressive Reaktionen, denen mit einfachen Strafen nicht beizukommen ist.

Was könnte Ihnen und Ihrer Tochter helfen?

Ein gutes Beratungsgespräch mit einem erfahrenen Mitglied Ihres Diabetesteams, an dem Sie, der Vater und Ihre Tochter teilnehmen. Es sollte ohne Vorwürfe geklärt werden, was Ihre Tochter schon alleine verantworten kann und wo sie Hilfe braucht. Auch sollte besprochen werden, wer was tun sollte. Eine 13-Jährige ist mit der Verantwortung für ihre Therapie noch überfordert. Es sollte ein gemeinsamer Plan gemacht werden, wie Ihre Tochter in die Selbständigkeit hineinwachsen kann. Da müssen alle Familienmitglieder mitziehen.

Ich höre aus Ihrer kurzen Darstellung heraus, dass Sie große Angst vor Folgeerkrankungen haben und diese vielleicht auf Ihre Tochter übertragen. Dieser Druck ruft meist nur Gegendruck hervor. Ihre Tochter braucht gerade jetzt eine hoffnungsvolle Zukunftssicht, die ihr das Gefühl gibt, dass sie es schaffen kann, gut und lange mit dem Diabetes zu leben. Anderenfalls fördern Sie nur deren Resignation und Depression. Ihre Angst vor dem Juni-Termin ist völlig unbegründet. Nach vier Jahren Diabetesdauer sind keine solchen Veränderungen zu erwarten, auch wenn die Werte nicht perfekt sind. Wenn es ungewöhnliche Nierenwerte gibt, hat das andere Gründe. Bitte informieren Sie sich z. B. in einer Diabetesschulung darüber, wie die Langzeitrisiken bei Typ-1-Diabetes heute sind. Die Situation ist sehr viel besser als noch vor 10 oder 20 Jahren. Je gelassener Sie werden, um so ruhiger und zugänglicher wird Ihre Tochter.

Wahrscheinlich ist Ihre Tochter eine ganz normale typische 13-Jährige, die ihre Mutter „peinlich findet“ und sich abgrenzen möchte. Dagegen braucht man als Elternteil ein dickes Fell, um es nicht persönlich zu nehmen. Das Verhalten steht eher für die große Unsicherheit, die viele Kinder in diesem Alter haben. Besonders schwierig wird es, wenn Eltern von „unserem“ Diabetes sprechen, wenn sie den Diabetes ihres Kindes meinen. Jugendliche empfinden das „als Vereinnahmung ihres Körpers“ und wehren sich dagegen. Kurz: es ist eine schwierige Übergangsphase vom behandelten Kind zum selbst handelnden Jugendlichen.

Es könnte weiterhin helfen, dass Sie mit Ihrer Tochter darüber sprechen, wie Sie nun gemeinsam mit dem Diabetes umgehen wollen. Es muss klare Grenzen geben – manchmal gehören auch unangenehme Konsequenzen dazu – aber auch Freiräume, in denen sich ihre Tochter beweisen kann. Machen Sie ihr Mut, dass sie es schaffen kann. Und schauen Sie auf die Stärken Ihrer Tochter, was sie gut kann, schon geschafft hat.

Ein Diabetestraining mit anderen Jugendlichen könnte ihr vielleicht helfen, den Diabetes besser zu verstehen und zu akzeptieren. Etwas ältere Jugendliche, die gut mit ihrem Diabetes klar kommen sind viel überzeugender als Eltern.

Schließlich ist der Diabetes nur ein kleiner Teil der Persönlichkeit Ihrer Tochter. Konzentrieren Sie sich auf die freundlichen und straken Seiten Ihres Kindes. Hier braucht es viel Anerkennung und Förderung. Der Diabetes sollte in den Hintergrund treten und mitlaufen, statt die Beziehung von Mutter und Tochter zu beherrschen.

Da ich weder Sie noch Ihre Tochter kenne, sind persönliche Tipps nicht möglich. Sicher gibt es gute Gründe für das Verhalten Ihrer Tochter wie auch für Ihre berechtigte Sorge. Hier sollten Sie persönlichen Rat bei Ihrem Diabetesteam oder auch bei einem psychologischen Berater einholen, der Ihnen gemeinsam als Familie hilft, Sorgen und Konflikte abzubauen. Dazu möchte ich Sie ermutigen, wenn sich die Situation nicht bessert.

Übrigens hat daran niemand Schuld – der Diabetes stellt einfach Anforderungen, die in bestimmten Lebensphasen für Familien zu viel sein können.

Die Beiträge in dieser Rubrik Fragen & Anworten sind ein anonymisierter Auszug aus unseren Expertenforen im geschützten Mitgliederforum. Wenn Ihr selbst eine Frage an unsere Experten stellen möchtet, schreibt an webmaster@diabetes-kids.de oder als Mitglied in unserem Expertenforum

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