Diabetes-Kids Expertenforum

Veröffentlicht in Fragen und Antworten.

Therapieformen der Insulintherapie bei Diabetes mellitus Typ 1

Ein Vergleich verschiedener Therapieformen von Herrn Gottwalt T...

Therapieziel:
Ziel aller Therapieformen ist es, einen Blutzuckerverlauf möglichst nah am Blutzuckerverlauf eines gesunden Menschen in vergleichbaren Lebensumständen zu erreichen (normoglykämie-naher Blutzuckerverlauf), unter (weitgehender) Vermeidung schwerer Unterzuckerungen.

Therapieformen:
Unterschieden wird zwischen der konventionellen Therapie (CT), der intensivierten konventionellen Therapie (ICT) und der kontinuierlichen subkutanen Insulininfusion (Pumpentherapie, CSII). Zusätzlich wird als erstes die historische Therapie beschrieben, da diese in einigen Krankenhäusern bei Erstmanifestation wieder praktiziert wird.

Historische Therapie mit Humaninsulin (Altinsulin):
Täglich drei- bis viermal wird der  benötigte Insulinbedarf mit Pen oder Spritze zu festgesetzten Zeiten gespritzt. Gemäß der Wirkungskurve des Insulins wird zu ebenfalls festgesetzten Zeiten eine ebenfalls festgelegte Menge Kohlenhydrate verzehrt, um die dem Insulin entsprechende Menge an Kohlehydraten aufzunehmen und eine Unterzuckerung zu verhindern. Gemäß der Wirkungskurve von Humaninsulin bedeutet dies in der Regel, daß drei größere und mindestens drei kleinere Mahlzeiten notwendig sind.
Vorteil: Die Therapieform ist die älteste Therapie für an Diabetes mellitus Typ 1 erkrankte Menschen. Sie sichert auf jeden Fall das Überleben des therapierten Menschen und ermöglicht dies mit verhältnismäßig geringem medizinischem Aufwand. Auch kann sie überall durchgeführt werden, wo wenigstens Insulin zur Verfügung steht. Üblicherweise sind Blutzuckermessungen nur vor den Hauptmahlzeiten und abends bzw. morgens nach dem Aufwachen notwendig, zur Not kann unter Inkaufnahme relativ hoher Zwischenwerte sogar darauf verzichtet werden und durch lediglich eine morgendliche Nüchternblutzuckermessung schlimme Entgleisungen vermieden werden. Bei Unverträglichkeit gegen Hilfsstoffe wie Konservierungs- und Stabilisierungszusätze kann diese Therapie mit in physiologischer Kochsalzlösung gelöstem Humaninsulin durchgeführt werden.
Nachteil: Zur Sicherstellung der Therapie müssen feste Spritz-Zeiten und zur Vermeidung von Unterzuckerungen feste Essenszeiten eingehalten werden. Auf schwankenden Insulinbedarf sowie unregelmäßige Tagesabläufe kann nur unzureichend eingegangen werden, eine Spätmahlzeit und Insulingabe direkt vor dem Schlafengehen sind unabdingbar, und die Nachtruhe ist auf höchstens acht Stunden beschränkt. Hohe Morgenwerte müssen therapiebedingt zwangsläufig in kauf genommen werden. Insgesamt ist nur mit sehr konsequenter, gleichbleibender Lebensführung eine stabile Blutzuckereinstellung möglich.

Konventionelle Therapie (CT) mit Verzögerungsinsulin und Humaninsulin:
Täglich ein- bis dreimal wird der für den Tag benötigte Basalinsulinbedarf als Verzögerungsinsulin mit Pen oder Spritze zu festgesetzten Zeiten gespritzt und zusätzlich ein Humaninsulin entweder in der Spritze hinzugemischt oder zu festgesetzten Zeiten zusätzlich injiziert. Gemäß der Wirkungskurve der Insuline wird zu ebenfalls festgesetzten Zeiten eine festgelegte Menge Kohlenhydrate verzehrt, um eine Unterzuckerung zu vermeiden. Im Unterschied zur historischen Therapie mit Humaninsulin wird dabei versucht, eine Wirkungskurve zu erreichen, welche eher dem tatsächlichen Bedarf des Organismus entspricht. Hierbei können insbesondere die modernen Langzeit-Insulinanaloga mit ihren exakter definierten Wirkungskurven helfen.
Dadurch wird erreicht, daß die Blutzuckerschwankungen geringer ausfallen als bei der historischen Therapie mit Humaninsulin, insbesondere Blutzuckerspitzen nachts und morgens sowie Unterzuckerungstendenzen zu Zeiten, zu denen eine Nahrungsaufnahme nicht erwünscht oder nicht möglich ist, können dadurch vermieden werden. Auch werden insgesamt weniger Injektionen und längere Pausen zwischen den Injektionen möglich.
Vorteil: Wenige Injektionen sind nötig, gerade bei Lebensumständen, die Injektionen zwischendurch nur schwer zulassen, ist dies eine geeignete Methode, eine im Vergleich zur historischen Therapie mit Humaninsulin bessere Blutzucker-Einstellung zu erreichen. Wie bei der historischen Therapie mit Humaninsulin sind üblicherweise Blutzuckermessungen nur vor den Hauptmahlzeiten und abends bzw. morgens nach dem Aufwachen notwendig.
Nachteil: Zur Sicherstellung der Therapie müssen feste Spritz-Zeiten und zur Vermeidung von Unterzuckerungen feste Essenszeiten eingehalten werden. Auf schwankenden Insulinbedarf sowie unregelmäßige Tagesabläufe kann nur schwer eingegangen werden. Insgesamt ist nur mit konsequent eingehaltener, gleichbleibender Lebensführung eine gute Blutzuckereinstellung möglich. Die Mischung der verschiedenen Insuline ist aufwendig und fehleranfällig, die Verabreichung verschiedener Insuline mit zwei Pens ist fast schon so aufwendig wie die ICT.

Intensivierte Konventionelle Therapie (ICT) mit Verzögerungs- und Humaninsulin und ggf. schnellwirksamem Analoginsulin:
Die ICT wurde eingeführt, um den Lebensumständen der Diabetiker weitergehend gerecht werden zu können, als dies mit der CT möglich war. Einen wesentlichen Beitrag lieferte dazu die Möglichkeit, unkompliziert mittels einfach nutzbarer Teststreifen ohne Labor-Equipment den Blutzucker bestimmen zu können. Einen weiteren Verbreitungsschub erhielt die ICT durch die Einführung der schnellwirksamen und auch der extrem verzögert wirksamen Insulinanaloga, da sich dadurch noch weitere Freiheiten der individuellen Therapieanpassung ergaben.
Die Therapieform der CT wird erweitert, indem nach Bedarf das für Mahlzeiten benötigte Insulin direkt vor den Hauptmahlzeiten unter Berücksichtigung des Spritz-Eß-Abstandes und eventuell notwendiger Korrektureinheiten verabreicht wird. Durch geeignete Dosierung und geeignete Wahl der Spritzstelle (Bauch, Oberschenkel, Oberarme, Gesäß) kann dabei eine weitere Zwischenmahlzeit gezielt geplant oder auch gezielt (fast) vermieden werden. Dadurch gewinnt man erhebliche Freiheiten bei der Mahlzeiten- und Tagesgestaltung, auch spontane Mahlzeiten oder Ausnahmen im Tagesablauf werden möglich, ohne den Blutzucker außergewöhnlich schwanken zu lassen. Auch die Unterzuckerungsgefahr ist geringer, da das Mahlzeiteninsulin direkt bei Nahrungsaufnahme und nicht im voraus verabreicht wird.
Werden schnellwirksame Insulinanaloga eingesetzt, kann sogar auf einen Spritz-Eß-Abstand verzichtet werden, sodaß insbesondere für Menschen mit Eßproblemen der Zwang, eine vorher definierte Menge an Kohlehydraten zu essen, entfallen kann. Auch entfällt beim Einsatz von Insulinanaloga die bei Humaninsulin aufgrund der Wirkungskurve meist notwendige Zwischenmahlzeit etwa zwei Stunden nach der Insulingabe.
Vorteil: Durch gezielte Auswahl des Langzeitinsulins und gezielte Festlegung der Spritz-Zeiten kann das Langzeitinsulin ziemlich exakt dem persönlichen Bedarf entsprechen, sodaß nüchtern nur geringe Blutzuckerschwankungen zu beobachten sind. Durch die gezielte, individuelle Injektion des Mahlzeiteninsulins ist eine flexible Tagesgestaltung ohne langfristige Planung möglich. Dies bewirkt meist eine insgesamt besseren Blutzucker-Einstellung bei gleichzeitig deutlich gesteigerter Freiheit der Lebensgestaltung und dadurch eine verbesserte Akzeptanz des Diabetes. Durch die gezielte Wahl des Mahlzeiteninsulins kann entweder eine weitere Mahlzeit mitabgedeckt werden (Humaninsulin) oder explizit darauf verzichtet werden (schnellwirksames Analoginsulin). Kurzfristige Blutzuckerkorrekturen sind durch weitere Injektionen jederzeit möglich.
Nachteil: Erhöhter Meßaufwand (mindestens vor jeder Mahlzeit, vor dem Zubettgehen und morgens nach dem Aufstehen), häufigere Injektionen, bei Mahlzeiten unterwegs muß -außer bei geplanten Zwischenmahlzeiten- auch unterwegs Insulin injiziert werden.

Kontinuierliche subkutane Insulininjektion (Pumpentherapie, CSII):
Die Insulinpumpentherapie ist die neueste Form der Insulintherapie. Ein kleiner Katheter wird hierfür in das Unterhaut-Fettgewebe gesetzt und mit einem Insulinreservoir in der Pumpe verbunden, über den kontinuierlich geringe Mengen Insulin abgegeben werden. Zusätzlich wird ebefalls auf diesem Wege zu jeder Mahlzeit das benötigte Mahlzeiteninsulin verabreicht. Im Grunde genommen ersetzt die kontinuierliche Insulingabe das Basal- bzw. Verögerungsinsulin der CT und ICT, die Bolusgabe zu den Mahlzeiten entspricht weitgehend den Injektionen schnellwirksamen Insulins zu den Mahlzeiten der ICT.
Der größte medizinische Vorteil der Insulinpumpentherapie liegt in der ganz an den individuellen Bedarf anpassungsfähigen Basalrate, was insbesondere bei geringem Insulinbedarf oder stark schwankendem Insulinbedarf im Tagesverlauf mit den Verzögerungsinsulinen nur schlecht gelingt (siehe z. B. Dawn-Syndrom). Auch können für verschiedene Situationen unterschiedliche Basalkurven ganz nach Bedarf eingestellt werden, z. B. für den schwankenden Insulinbedarf durch den weiblichen Zyklus, zur Abbildung des schwankenden Bedarfs und unterschiedlichen Tagesrhythmus an Wochentagen und Wochenende, für Schichtarbeiter, Menschen mit sonstigen blutzuckerwirksamen Erkrankungen oder entsprechenden Medikationen. Auch kann die Basalrate relativ rasch und unkompliziert an veränderte Bedürfnisse bei Heranwachsenden oder Menschen in Lebensumbruchsituationen angepaßt werden, und eine vorübergehende Erhöhung bei voraussehbaren Ruhephasen (lange Zug- oder Autofahrten z. B.) oder Absenkung bei erhöhter Belastung (Sport z. B.) ist jederzeit möglich. So sind normnahe Blutzuckerverläufe dank der modernen Blutzuckermeßmethoden (ggf. auch bzw. gerade in Verbindung mit kontinuierlicher Blutzuckermessung) noch besser möglich als bei der ICT, auch durch die engmaschig möglichen Korrekturgaben ohne erneut notwendige Injektion.
Für die Diabetiker selbst bedeutet es meist einen großen Gewinn an spontaner Tagesgestaltung und spontaner Nahrungsaufnahme. Erkauft wird dies durch einen erhöhten Meßaufwand.
Vorteil: Durch geeignete Basalratenanpassung und jederzeit mögliche Korrekturgaben ist eine Blutzuckereinstellung nahe am Normalverlauf gesunder Menschen in vergleichbaren Lebensumständen möglich, ohne häufige Unterzuckerungszustände zu riskieren. Die individuelle Anpassung an den tatsächlichen akuten Bedarf ist besser möglich als bei jeder anderen Insulintherapie. Durch die Kombination der Insulinpumpentherapie mit einer kontinuierlichen Blutzuckermessung ist eine nahezu lückenlose Dokumentation des Blutzuckerverlaufs mit zeitnahen Anpassungen möglich.
Nachteil: Erhöhter Meßaufwand (mindestens vor jeder Mahlzeit, nach dem Aufstehen und vor dem Schlafengehen), erhöhter Versorgungsaufwand (Katheterwechsel, Insulinreseroirwechsel) erhöhter Materialbedarf. Insgesamt ist es die aufwendigste Insulintherapie und verursacht mit Abstand die höchsten Kosten.

Vergleichende Diskussion:
Die historische Therapie ist als lebenserhaltender Mindeststandart sicherlich nur noch in Ausnahmefällen angemessen, kann aber z. B. in der Remissionsphase wegen der noch (fast) vollständigen Abdeckung des Basalbedarfes durch die verbliebene Eigeninsulinproduktion die Therapie der Wahl sein. Ein Sonderfall ist sicherlich die vorübergehende Anwendung der historischen Therapie mit reinem Humaninsulin in reiner physiologischer Kochsalzlösung bei bestehnden schweren Unverträglichkeiten gegen die Zusätze in den handelsüblichen Insulinen.

Die CT ist immer noch die verbreitetste und bekannteste Therapieform, dank moderner Verzögerungsinsuline ist bei geregelter Tagesgestaltung und disziplinierter Nahrungsaufnahme damit eine stabile Blutzuckereinstellung möglich. Stärker schwankender Basalbedarf und unregelmäßige Tagesgestaltung führen zwangsläufig zu stärkeren Blutzuckerschwankungen mit allen negativen Folgen für den Stoffwechsel und die Organe und ggf. der Gefahr häufigerer Unterzuckerungen.

Die ICT begegnet der Unflexibilität der CT durch den zusätzlichen Einsatz des kurzwirksamen Mahlzeiteninsulins. Dadurch wird eine selbstbestimmte Tagesgestaltung, Mahlzeiten nach Bedarf sowie kurzfristige Korrekturen bei zusätzlichem Insulinbedarf (und dadurch eine defensivere Basalinsulingabe) möglich. Mit der ICT sind normnahe Blutzuckereinstellungen trotz individueller Lebensgestaltung möglich. Die Grenzen der ICT liegen bei stark vom Wirkprofil der Basalinsuline abweichendem Basalinsulinbedarf und bei stark schwankendem Basalinsulinbedarf. Der erhöhte Meßaufwand kann zur Ablehnung der ICT führen.

Mit der CSII kann man dem individuellen Insulinbedarf am nächsten kommen und dadurch einen normnahen Blutzuckerverlauf ohne die Gefahr häufiger bzw. schwerer Unterzuckerungen erreichen. Insbesondere in Kombination mit den neuen Methoden der kontinuierlichen Blutzuckermessung können auch stark schwankende Insulinbedarfe z. B. während der Pubertät gut therapiert werden. Da regelmäßige Injektionen entfallen und moderne Insulinpumpen unauffällig ferngesteuert werden können, ist dies auch bei vielen Berufen die beste Möglichkeit, eine normale Lebensgestaltung mit einer guten Blutzuckereinstellung zu verbinden. Auch die Bedarfsanpassung an Schichtdienst oder phasenweise sehr stressige Berufssituationen (z. B. Redaktionsschluß bei Journalisten) ist damit besser als mit den anderen Therapieformen möglich. Dem steht der erhöhte Meß- und Versorgungsaufwand sowie die drastisch höheren Kosten gegenüber, die eine Bewilligung der Insulinpumpentherapie durch die Krankenkassen von einer Einzelfallprüfung mit Bestätigung der medizinischen Notwendigkeit abhängig machen.

Expertenrat

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Diskutiert diesen Artikel im Forum (4 Antworten).
Niemand antwortete auf das Thema:
18 Apr. 2012 18:17

Mssn69 schrieb: Welche Therapie ist denn also nun die beste ?

Ich bin der Meinung, dass es DIE beste Therapie nicht gibt. Gottwalt hat doch die Vor- und Nachteile gut beschrieben und letztlich muss jeder selber rausfinden, welches für ihn selbst (bzw. hier geht es ja um unsere Kinder) die beste Therapie ist.

Viele Grüße

Helmuth
Mssn69 antwortete auf das Thema:
18 Apr. 2012 17:45
Welche Therapie ist denn also nun die beste ?
Gottwalt antwortete auf das Thema:
22 Nov. 2009 11:57
Hallo Maja, aus genau diesem Grunde steht der Artikel" jetzt auch im Wiki unter "Therapieformen", und kann dort laufend aktualisiert werden. Lieben Gruß Gottwalt
MarieR antwortete auf das Thema:
22 Nov. 2009 08:26
Hallo Gottwalt, die Umsetzung kam aber prompt :) :)! Die Zusammenfassung ist Dir gut gelungen. Ich denke, so können wir Neulinge" gut auf Deinen Artikel verweisen, anstatt es jedes Mal im Forum neu zu erklären! Auch von mir ein dickes Lob. Maja