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Veröffentlicht in Leben suess-sauer.

„Leben süß-sauer“ Folge 8 Pump up the jam

Es war dieses Bild in der Broschüre: Ein vor Glück strahlendes junges Paar sitzt an einem Tisch im Eiscafé. Er trinkt einen Cappuccino, doch vor ihr steht ein riesiger Eisbecher (Sahne Krokant; ich kann mich genau erinnern). Sie wird diesen Eisbecher gleich essen. Und das, obwohl sie, wie man aus der Bildunterschrift erfährt, seit 14 Jahren Diabetikern ist. Die Insulinpumpe macht’s möglich.

Eine Insulinpumpe! Der Schlüssel zu ganz offiziell erlaubten Sahne-Krokant-Eisbechern!

Drei Monate quengelte ich meinem Diabetologen immer wieder die Ohren voll, bis er schließlich aufgab und mich trotz all seiner Bedenken („Aber Du bist noch so jung!“) zur Pumpenschulung in die Diabetes-Tagesklinik schickte.

Zwei Wochen; zwei läppische Wochen stationärer Schulung trennten mich nun noch von meinem glücklich strahlenden Gesicht im Eiscafé. Mich und Heinz und Ute und Pete.

Am ersten Tag war – natürlich – Vorstellungsrunde: Pete kannte ich schon. Ihm gehörte die Kneipe, in der meine Mutter früher gearbeitet hatte. Dass er Diabetiker war, wusste ich allerdings nicht. Und fand es auch ein wenig seltsam, wenn ich an das dachte, was er abends für gewöhnlich trank. (Keine Diät-Cola…)

Ute war 46 Jahre alt und sah aus, als würde sie im Urlaub auf Mallorca im Brustbeutel- und Shorts-Outfit bei der Hotelleitung darüber beschweren, dass die BILD-Zeitung am Kiosk immer so schnell ausverkauft war. Außerdem hatte sie seit 24 Jahren Diabetes und genug von sich zu erzählen, um uns einen kompletten Vormittag damit zu unterhalten.

Heinz war eine arme Socke. Er hatte sich bei dem Versuch, eine Gartenlaube zu bauen, beide Arme gebrochen. Und: Heinz war der Mann von Ute. Vermutlich hatte sie ihm gedroht, nie wieder mit dem Sprechen aufzuhören, wenn er sie nicht heiraten würde. Denn Heinz war sehr nett und eigentlich ein viel zu angenehmer Mensch für eine so unangenehme Menschin wie Ute. (Sie hatte ihn bestimmt auch dazu genötigt, diese Gartenlaube zu bauen!) Als ich an der Reihe war, mich vorzustellen, starrte Ute mich mit verächtlichen Blicken an. Wie konnte ich es wagen, erst 14 zu sein und unverschämter Weise weder dreißig Kilo Übergewicht, noch ein Meer von Falten mit mir rumzutragen?! Das konnte ja noch heiter werden ...

Am zweiten Tag ging es dann los mit der eigentlichen Schulung. Zunächst mussten wir alle aufschreiben, warum wir uns für die Insulinpumpe entschieden hatten. Ich überlegte einen Moment, ob es wirklich der Sahne-Krokant-Becher war, den Frau Großeschallau, die Diätassistentin, als Grund für meinen Entschluss hören wollte. Bisher hatte ich eher schlechte Erfahrung damit gemacht, in Gegenwart von Diätassistentinnen über Essen jenseits des Graubrots zu sprechen, also schrieb ich lieber etwas Unverfänglicheres auf den grünen Zettel, der später an die Pinnwand geheftet werden würde: Ich möchte mehr Freiheiten haben.

Das kam schon ganz gut an, aber Pete, der kleine Streber, setzte noch einen drauf: Ich möchte meine Einstellung optimieren, um Spätfolgen zu vermeiden stand auf dem grünen Zettel, den er zur Pinnwand brachte. (Dabei wusste ich inzwischen von meiner Mutter, dass er noch nicht ein Mal in seinem Leben Blutzucker gemessen hatte, wenn nicht gerade ein Arzt oder eine hübsche Diätassistentin in der Nähe waren.)Alle hatten schließlich ihre Beweggründe an die Pinnwand geheftet, als Frau Großeschallau uns die Schulungsunterlagen austeilte. 23 Kopien; die ersten vier Blätter sollen wir uns doch bitte bis zum nächsten Tag durchlesen. Na prima. Da musste man schon mal nicht zur Schule, und dann so was!  In der Mitte der zweiten Woche war es dann nach viel Theorie endlich soweit: Wir bekamen unsere Insulinpumpen.

Wie man mit einem Katheter umgeht, hatten wir am Tag zuvor lange und ausführlich geübt. Es dürfe nun also eigentlich keine großen Probleme mehr geben, sagte Frau Großeschallau, die ganz offensichtlich Ute und Heinz in ihrer Rechnung nicht berücksichtigt hatte.

Heinz nahm ich es natürlich nicht übel, dass er nicht in der Lage war, sich mit zwei Gipsarmen die Pumpe anzulegen.Dass seine Frau aber tatsächlich dumm genug war, sich die Nadel statt ins Bein tief in den Finger zu rammen und dann darauf bestand, einen Notarzt zu rufen, hatte die Grenze des Erträglichen deutlich überschritten.

„Nur noch zwei Tage. Nur noch zwei Tage“, wiederholte ich innerlich immer wieder eine Art Mantra, in dem ich die einzige Möglichkeit sah, Ute nicht ins Gesicht zu sagen, für wie dumm ich sie hielt. „Nur noch zwei Tage, dann gehst Du einen dicken Eisbecher essen – Sahne Krokant!“

Hinweis von Diabetes-Kids.de:
Weitere Folgen der Serie „Leben süß-sauer“ werden wir ab sofort in regelmässigen Abständen hier veröffentlichen.
Herzlichen Dank an Frau Guadagno für diese tollen Geschichten.

Nächste Folge

Alle bisherigen Beiträge dieser Serie findet ihr hier

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