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Diabetes-Kids Elternblog: Diabetes akzeptieren - So viel Schicksal kann nur langsam verdaut werden.

Diabetes kann jeden von uns treffen. Ich wünschte, er wäre zu mir gekommen. War ich ihm etwa zu alt? Stattdessen hat er sich in unseren Sohn niedergelassen. Kurz nach seinem ersten Geburtstag. Mit dem Diabetes unseres Sohnes war ich nicht immer so im Reinen wie heute. Wirklich nicht. Wir werden nie die dicksten Freunde werden, doch habe ich ihn akzeptiert. Und DAS war gar nicht so einfach! So viel Schicksal kann nur langsam verdaut werden.

Zuerst einmal tut es mir leid. Ehrlich und vom ganzen Herzen. Es tut mir wirklich leid. Ich weiß, was Ihr gerade leistet oder leisten musstet! Auch, dass man derartige Aussagen gerne zur Seite wischt, um sich nicht die Blöße der eigenen Ohnmacht einzugestehen.

Unser Sohn war damals 14 Monate alt. Für mich noch ein Baby. Er konnte nicht sprechen. Konnte nicht laufen. War jedoch sehr bemüht beides zu erlernen. Und dann kam Mister Diabetes. Noch nie in meinem Leben hatte ich mich so hilflos gefühlt! Und ja, es tat weh! Sehr weh! Keiner kann diesen Schmerz nachvollziehen! Keiner, der nicht in einer ähnlichen Situation war, kann das verstehen. Es war kein Beinbruch. Kein Schnupfen, der wieder vergeht. Gesagt zu bekommen:"Es gibt Schlimmeres!", hilft in dem Moment ausgesprochen wenig, denn es war gerade das Schlimmste, was mir persönlich passierte! Das war die erste Lektion, die ich lernen musste. Das Leben ist nicht selbstverständlich und die Gesundheit unseres Kindes auch nicht! Im Krankenhaus wurde mir schon sehr schnell klar, dass es nie wieder so sein würde wie früher. Doch was das im Detail bedeutete, das war mir nicht wirklich bewusst. Der Unterschied zwischen Theorie und Praxis besteht nämlich darin, dass man den Faktor Kind und Umfeld mit einbeziehen muss. Ich fragte mich, ob das den Diätassistenten und Diabetologen wirklich bewusst war. Theoretisch wusste ich, dass ich die Mahlzeit bei 390 mg nicht geben darf. Das Ding war nur, versuch das mal einem 15 Monate alten Kind, ruhig und sachlich darzulegen. Vor neun Jahren gab es niemanden, den ich hätte fragen können. Keiner konnte uns etwas raten, da unser Sohn zu den ganz wenigen in Deutschland gehörte, den es so früh getroffen hatte. Heute ist das leider keine Seltenheit mehr. Leider! Diabetes an sich ist schon eine Herausforderung, aber so etwas? Dafür gab es keine Worte. Damals war ich oft hoffnungslos überfordert. Mit allem. Ich vergaß alles, außer jene Dinge, die mit dem Diabetes zu tun hatten. Die Geburtstage meiner Eltern. Wäsche, die tagelang in der Waschtrommel lag oder auf der Leine ewig vor sich hin trocknete. Ich vergaß zu essen und zu schlafen. Zwanzig Stunden pro Tag war ich nur mit einer Sache beschäftigt. Mit Mister Diabetes. Damals habe ich ihn nicht so genannt. Das, was man hasst, bekommt keinen Namen! Ja ich habe ihn gehasst und hätte ich ihn irgendwie packen können, er wäre nicht lebend aus der Sache heraus gekommen.

Es war folglich schwer, den Alltag zu meistern. Einen normalen Alltag gab es ohnehin nicht mehr. Erst recht nicht, wenn ich das Haus verließ. Dort gab es überall glückliche Eltern mit noch glücklicheren Kindern. Kind will einen Keks. Kind bekommt einen Keks. Apfelsaftschorle? Na aber sicher! Gummibärchen an der Kasse. Bonbons von der Nachbarin. Butterbrezel von der Krabbelgruppenfreundin. Brauchte es denn wirklich so wenig, um glücklich bzw. unglücklich zu sein? Oh ja! Ich fand mich plötzlich in einer Welt wieder, in der sich alles nur noch ums Essen zu drehen schien. Und um das Kind beim Namen zu nennen, ich hatte damals keine schönen Gedanken, wenn ich dabei zusah, wie andere Kinder abgefüllt wurden. Nein wirklich nicht. Und ja, es war auch eine schlimme Form des Neides dabei! Mein Umfeld wurde für mich unerträglich. Und ich nicht gerade erträglicher für mein Umfeld. 

Was ich damit sagen will, ist, dass ich mir hauptsächlich selbst im Weg stand! Ich war einfach noch nicht bereit gewesen, loszulassen. Denn nichts anderes tun man. Die Vergangenheit hinter sich lassen. Aber wann ist es Zeit dafür? Wenn das nur so einfach wäre. Zack, der Schalter wird umgelegt und man quietscht vor Freude und Zuversicht. Fakt aber ist, dass dafür jeder seine eigene Zeit braucht. Das kann nicht beschleunigt werden, nur weil der Partner, die Freunde oder die Arbeitskollegen das gerne so hätten. Es ist weder eine Sache des Verstandes noch des Gefühls. Irgendwann konnte ich sehen, was ich alles geschafft hatte. Was wir alles erreicht hatten. Und das hat mir Mut gemacht! Das geht nicht von heute auf morgen. Es kommt vielmehr mit jedem kleinen Schritt, den wir in die richtige Richtung gehen. Und viele kleine Schritte führen letztendlich doch auch irgendwann zum Ziel. Also, wenn es mal wieder einen Rückschlag gibt, und das wird es immer wieder geben, dann ist es vielleicht gar nicht so falsch, einen Blick über die Schulter zu werfen, statt mit dem Fernglas verbissen den Horizont abzusuchen. Oder alten Erinnerungen nachzutrauern.

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